eJournals körper tanz bewegung 11/2

körper tanz bewegung
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2195-4909
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2023
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Aktuelle Systematische Reviews zu Tanz(-therapeutischen) und ­psychomotorischen Interventionen

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2023
Iris Bräuninger
Die Anzahl publizierter Systemischer Reviews (SR) zu Tanz-, Bewegungstherapie (TT) war 2022 bemerkenswert, der TT-Begriff schloss jedoch oft nur Tanzinterventionen ohne TT ein. Vorgestellt werden hier nur SR, welche neben Tanz- auch TT-Interventionen aufführten: Zwei SR mit Metaanalyse untersuchten Tanz(-therapeutische) Interventionseffekte auf negative Symptome bei Autismus (ASD, Chen et al. 2022) und auf nicht-motorische Symptome bei PatientInnen mit Parkinson-Störung (Wang et al. 2022). Der SR von Lee et al. (2022) überprüfte die Wirkung von therapeutischem Tanz in der Behandlung nach sexuellem Trauma. Der vierte SR überprüfte den Effekt von psychomotorischen Interventionsprogrammen bei Kindern (Moschos et al. 2022).
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Aktuelles aus der Forschung 85 körper-- tanz-- bewegung 11. Jg., S. 85-87 (2023) DOI 10.2378/ ktb2023.art12d © Ernst Reinhardt Verlag Aktuelle Systematische Reviews zu Tanz (-therapeutischen) und psychomotorischen Interventionen Iris Bräuninger D ie Anzahl publizierter Systemischer Reviews (SR) zu Tanz-, Bewegungstherapie (TT) war 2022 bemerkenswert, der TT- Begriff schloss jedoch oft nur Tanzinterventionen ohne TT ein. Vorgestellt werden hier nur SR, welche neben Tanzauch TT-Interventionen aufführten: Zwei SR mit Metaanalyse untersuchten Tanz(-therapeutische) Interventionseffekte auf negative Symptome bei Autismus (ASD; Chen et al. 2022) und auf nicht-motorische Symptome bei PatientInnen mit Parkinson-Störung (Wang et al. 2022). Der SR von Lee et al. (2022) überprüfte die Wirkung von therapeutischem Tanz in der Behandlung nach sexuellem Trauma. Der vierte SR überprüfte den Effekt von psychomotorischen Interventionsprogrammen bei Kindern (Moschos et al. 2022). Effekt von Tanzinterventionen auf negative Symptome bei ASD Chen und KollegInnen (2022) überprüften die Wirksamkeit von Tanzinterventionen auf ASD- Symptome und führten eine Datenbankrecherche (Cochrane, EBSCO, MEDLINE, PubMed, PsycINFO) zu RCTs und nicht-randomisierten Kontrollstudien durch. Einschlusskriterien waren u. a. das Alter (3-65 Jahre) und Angaben zu mindestens einem der Outcome-Bewertungen (i) negative Symptome, (ii) Empathie, (iii) soziale Interaktion (social-relatedness behaviors). Zwei ForscherInnen schlossen aus 47 Treffern sieben Studien für die Metaanalyse ein und bewerteten die Studienqualität anhand der Physiotherapy Evidence Database (PEDro) Skala. Insgesamt flossen Daten von 250 TeilnehmerInnen ein (n = 136 Interventionsgruppen, n = 114 Kontrollgruppen; Alter: 6 bis 65 Jahre; Interventionen 7-17 Wochen, 1-2x wöchentlich zwischen 40 und 90 Minuten). Die Ergebnisse weisen eine signifikante Verbesserung der negativen Symptome (−1.48 Punkte, CI - 2.55 bis - 0.42 Punkte, p = 0.006, I 2 = 75 %), der sozialen Interkation (0.88, CI 0.46 bis 1.30, p < 0.0001, I 2 = 0 %), und keinen Effekt auf Empathie (0.09, CI- - 0.25 bis 0.42, p = 0.61, I 2 = 2 %) nach. Effekt von Tanzinterventionen auf nicht-motorische Symptome bei Parkinson-Störung Wang und KollegInnen (2022) untersuchten, welchen Effekt Tanzinterventionen auf nichtmotorische Symptome (Kognition (MOCA), Depression (BDI), Müdigkeit (PFS-16), Apathie (AS)) bei PatientInnen mit Parkinson-Störung haben. Ihre Forschung umfasste eine Datenbankrecherche in Cochrane Library, Embase, PubMed, Science Direct, Web of Science und 86 2 | 2023 Iris Bräuninger eine manuelle Suche der Literaturlisten. Von 1090 Artikeln wurden 439 Abstracts von zwei Forscherinnen unabhängig voneinander gesichtet. Neun Studien erfüllten die Einschlusskriterien für die qualitative Synthese der Metaanalyse (N=307; acht RCTs und eine quasirandomisierte kontrollierte Studie), welche anhand des Cochrane-Manuals bewertet wurden. Die mehrheitlich älteren TeilnehmerInnen (Durchschnittsalter > 60 Jahre, 173 Männer, 134 Frauen) nahmen an Interventionen (verschiedene Tanzinterventionen oder TT) in 5 bis 12 Wochen teil. Die Ergebnisse zeigten, dass Kognition in sechs RCTs erhoben wurde (N = 217) und Tanzinterventionen die Kognition im Vergleich zu keiner Tanzintervention signifikant verbesserten (MD = 1,50, 95 % KI [0,52, 2,48], P = 0,0003; I 2 = 51 %). In Hinblick auf Depression, Müdigkeit und Apathie konnte kein Effekt der Tanzinterventionen nachgewiesen werden. Effekt von therapeutischem Tanz bei sexuellem Trauma Lee und KollegInnen (2022) führten einen SR zur Wirkung von therapeutischem Tanz in der Behandlung nach sexuellem Trauma durch. Die Datenbankrecherche (EBSCO Education Source, PsycINFO, PubMed, Web of Science) wurde von zwei AutorInnen unabhängig voneinander durchgeführt, durch eine dritte Person verifiziert und durch Handsuche von Referenzlisten und Schlüsselautoren ergänzt. Von 2141 Artikeln wurden 110 nach Titel und Abstract gesichtet, von denen elf die Einschlusskriterien erfüllten: (i) Personen, die einem sexuellen Trauma ausgesetzt waren, (ii) Tanz als therapeutische Intervention, (iii) Outcome-Bericht (inkl. Fallberichte etc.) zur Tanzintervention. Die Studienqualität wurde anhand von vier Kriterien berechnet, deren Summe die Endeinschätzung ergab (Hawkers Score): hohe Qualität (30-36): fünf Studien, mittlere Qualität (24-29): fünf Studien, niedrige Qualität (9-23): eine Studie. Die qualitative Datenanalyse wurde anhand eines sechsstufigen Ansatzes extrahiert, in entstehende Domänen eingeteilt, und die AutorInnen interpretierten die quantitativen Studienergebnisse. Die Ergebnisse wurden dahingehend interpretiert, dass sich therapeutischer Tanz vor allem in Hinblick auf Affekt, zwischenmenschliche Beziehungen und das Selbst in verschiedenen Gruppen und Umgebungen auszuwirken scheint. Effekt von psychomotorischen Interventionsprogrammen bei Kindern Als psychomotorisches Interventionsprogramm (PIP) definieren Moschos und KollegInnen (2022) eine Behandlung, welche körperliche Aktivitäten zur Problemlösung verwendet (S. 1). Der SR untersuchte die Wirksamkeit von PIP bei normal entwickelnden Kindern. Die Recherche erfolgte in den Datenbanken PubMed und Scopus und bei Google Scholar. Sie ergab 1489 Treffer, von denen 56 als Volltext gelesen wurden und acht den Einschlusskriterien entsprachen: (i) Publikationsjahr zwischen 2008 und 2020, (ii) Wirksamkeitsstudie zu PIP, (iii) Kinder zwischen 3 und 10 Jahren, (iv) Kinder ohne diagnostiziertes neurologisches, sensorisches und motorisches Problem. Die Handsuche der acht Literaturlisten ergab zwei weitere Studien, ebenso die Literatursuche unter den AutorInnen-Namen. Die Ergebnisse der zwölf Studien beschreiben Interventionsverfahren, Datenerfassungsmethoden, Bewertungsinstrumente und Interventionsergebnisse: Alle Studien berichteten eine signifikante Verbesserung der motorischen Fähigkeiten (MP; p < 0,05) und motorischen Kompetenz (MC; p < 0,05). Neun Studien untersuchten Unterschiede in der motorischen Entwicklung zwischen Behandlungsgruppen und Kontrollgruppen und betonten eine Vielzahl motorischer Fähigkeiten, 2 | 2023 87 Aktuelles aus der Forschung sozialer Kompetenzen, Selbstkonzept und emotionaler Kompetenz als Outcome in den Behandlungsgruppen im Gegensatz zu den Kontrollgruppen. Vier Studien untersuchten motorische, emotionale, soziale Kompetenzen und Selbstkonzepte bei Vorschulkindern. Die AutorInnen schlussfolgerten, dass sich PIP schon nach zwei Monaten positiv auf die motorische Entwicklung auswirken könnte, aber für Bereiche der Persönlichkeitsentwicklung eine längere Behandlungsdauer und Frequenz sinnvoll wäre. Schlussfolgerung und Ausblick Tanz scheint die negativen Symptome und sozialen Defizite von Menschen mit ASD zu reduzieren (Cheng et al. 2022), weitere Interventionsstudien in diesem Bereich könnten sich mit der Förderung der Empathie-Fähigkeit auseinandersetzen. Die Metaanalyse von Wang und KollegInnen (2022) legt nahe, dass Tanz die kognitive Funktion bei Parkinson verbessert. Weitere Studien könnten überprüfen, ob sich eine TT-Intervention bei längerer Behandlungsdauer positiv auf Depression, Müdigkeit und Apathie auswirken würde. Die Datenlage zu TT und sexuellem Missbrauch ist noch gering, und weitere Interventionsstudien zu TT bei sexuellem Missbrauch sind indiziert, um die Ergebnisse von Lee und KollegInnen (2022) zur positiven Wirkung des therapeutischen Tanzes in der Behandlung bei sexuellem Trauma zu festigen. Die Ergebnisse des SR (Moschos et al. 2022) sind ein wichtiger Meilenstein für den Wirksamkeitsnachweis psychomotorischer Interventionsprogramme bei Kindern im Vorschul- und Grundschulalter, der die Grundlage für weitere Forschungsaktivitäten bietet. Literatur Chen, T., Wen, R., Liu, H., Zhong, X., Jiang, C. (2022): Dance intervention for negative symptoms in individuals with autism spectrum disorder: A systematic review and meta-analysis. Complementary Therapies in Clinical Practice 47, 101565, https: / / doi.org/ 10.1016/ j.ctcp. 2022.101565 Lee, J., Dhauna, J., Silvers, J. A., Houston, M. H., Barnert, E. S. (2022): Therapeutic dance for the healing of sexual trauma: A systematic review. Trauma, Violence, & Abuse, https: / / doi.org/ 10.1177/ 15248380221086898 Moschos, G., Pollatou, E. (2022): The effect of a psychomotor intervention program in children 3-10 years of age: A systematic review. Body, Movement and Dance in Psychotherapy 17 (4), 294-309, https: / / doi.org/ 10.1080/ 17432979.2 022.2078406 Wang, L. L., Sun, C. J., Wang, Y., Zhan, T. T., Yuan, J., Niu, C. Y., Nui, Z. Y., Yang, J., Huang, S., Cheng, L. (2022): Effects of dance therapy on non-motor symptoms in patients with Parkinson’s disease: a systematic review and meta-analysis. Aging Clinical and Experimental Research 34 (6), 1201-1208, https: / / doi. org/ 10.1007/ s40520-021-02030-7 Dr. Iris Bräuninger Senior Researcher & Co-Leiterin Studiengang Psychomotoriktherapie (Hochschule für Heilpädagogik Zürich IVE), Dozentin MA Tanztherapie UAB Barcelona, BTD-Supervisorin / Ausbilderin / Lehrtherapeutin, KMP-Notatorin, Praxis Tanztherapie Supervision Bodensee. ✉ Dr. Iris Bräuninger dancetherapy@mac.com oder iris.braeuninger@hfh.ch