eJournals körper tanz bewegung 11/1

körper tanz bewegung
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2195-4909
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/ktb2023.art04d
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2023
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Forum: Körper im Kontext

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2023
Jana Pluns
Körper- und erfahrungsorientierte Verfahren werden zunehmend populär in der Psychotherapielandschaft. Auch die systemische Therapie wendet sich vermehrt körperpsychotherapeutischen Zugängen zu und trifft dort auf einen äußerst fruchtbaren Boden. Körperorientierte systemische Therapie kombiniert die systemische Haltung mit körperpsychotherapeutischem Wissen und Methoden. In diesem Artikel möchte ich einen Einblick geben, warum diese Kombination so sinnvoll ist, und skizzieren, wie eine körperorientierte systemische Therapie konkret aussehen kann. Dafür greife ich vor allem auf meine praktischen Erfahrungen als Körperpsychotherapeutin in einer psychosomatischen Klinik zurück.
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21 Forum: Aus der Praxis körper-- tanz-- bewegung 11. Jg., S. 21-31 (2023) DOI 10.2378/ ktb2023.art04d © Ernst Reinhardt Verlag Körper im Kontext Körperorientierte systemische Therapie in der Praxis Jana Pluns Körper- und erfahrungsorientierte Verfahren werden zunehmend populär in der Psychotherapielandschaft. Auch die systemische Therapie wendet sich vermehrt körperpsychotherapeutischen Zugängen zu und trifft dort auf einen äußerst fruchtbaren Boden. Körperorientierte systemische Therapie kombiniert die systemische Haltung mit körperpsychotherapeutischem Wissen und Methoden. In diesem Artikel möchte ich einen Einblick geben, warum diese Kombination so sinnvoll ist, und skizzieren, wie eine körperorientierte systemische Therapie konkret aussehen kann. Dafür greife ich vor allem auf meine praktischen Erfahrungen als Körperpsychotherapeutin in einer psychosomatischen Klinik zurück. Schlüsselbegriffe Systemische Therapie, Körperpsychotherapie, systemische Haltung Body in Context. Body-Oriented Systemic Therapy in Practice Body-oriented and experiential methods are becoming more and more popular in the psychotherapy landscape. Systemic therapy is also increasingly turning to body-psychotherapeutic approaches and finds very fertile ground there. Body-oriented systemic therapy combines the systemic attitude with body-psychotherapeutic knowledge and methods. In this article I would like to give an insight into why this combination is so useful and outline, what body-oriented systemic therapy can look like in concrete terms. For this, I mainly refer to my practical experience as a body psychotherapist in a psychosomatic clinic. Key words systemic therapy, body psychotherapy, systemic attitude „The body is more than just a brain-taxi“ (Walsh 2016, 4) D ie Kombination von systemischer Haltung und körperpsychotherapeutischen Ansätzen erlaubt einen großen Spielraum in der Auswahl und Durchführung von Interventionen. Dieser Spiel- und Freiraum in der Art und Weise, einen Zugang zu den Thematiken der KlientInnen zu finden, unterstützt das klientenzentrierte Arbeiten enorm. Der systemische Blick ist besonders hilfreich bei der Herausarbeitung der Themen und des Anliegens, die körperpsychotherapeutischen und kreativen Zugänge führen in die Erfahrung. In diesem Beitrag möchte ich einen recht einfach gehaltenen Überblick über einen Ansatz der körperorientierten systemischen Therapie geben, der 22 1 | 2023 Jana Pluns systemischen TherapeutInnen Mut machen kann, den Schritt in die Erfahrung zu wagen, und für körperpsychotherapeutisch arbeitende, systemisch noch nicht versierte Menschen zu einer Integration des systemischen Blicks anregen kann. Wenn ich als Körperpsychotherapeutin den Therapieraum in der psychosomatischen Klinik betrete, lade ich den Mut ein, dem Unbekannten neugierig zu begegnen, und das macht mich wach und aufmerksam. Ich werde zur Abenteuerin. Wenn meine KlientInnen den Therapieraum betreten, haben sie Platz. Der Raum ist groß, der Boden frei, alles Material ist verstaut, die Sitzgelegenheiten zur Seite geräumt. Meine erste Frage lautet: „Wollen wir uns erstmal hinsetzen oder eine Runde im Raum spazieren gehen, während du mir erzählst, was du heute mitbringst? “ Das Du gehört im Klinikkonzept dazu. Es geht unter anderem um Augenhöhe, um ein Sich-wirklich-gemeint-Fühlen, um die Beschleunigung der Herstellung eines Raumes, in dem Nähe und Verletzlichkeit Platz haben. Alle wissen irgendwann sehr genau, was sie brauchen, um anzukommen. Sie wissen, wo im Raum sie sitzen müssen, um sich wohl und sicher zu fühlen, ob auf einem Kissen, einem Ball oder einem Stuhl, ob sie im Uhrzeigersinn durch den Raum laufen möchten oder dagegen, ob sie sich erstmal auf dem Boden ausstrecken oder raus gehen wollen. Mit dem „gehaltenen Freiraum“ entsteht Platz, auf ihr intuitives Wissen zuzugreifen, auf das, was den KlientInnen unmittelbar gut tut. Und wenn dieses Wissen gerade nicht zugänglich ist, darf ausprobiert und die Suche nach dem richtigen Platz im Raum nach einem stimmigen Ankommen auch mal zum sitzungsfüllenden Thema werden. Das selbstbestimmte Ankommen aktiviert von Beginn an sowohl die Selbststeuerung als auch die Selbstwahrnehmung der KlientInnen. Beides ist elementar für die systemische Arbeit mit dem Körper. Blicke durchs Schlüsselloch-- Theoretischer Hintergrund Theoretisch orientiere ich mich in meiner praktischen Arbeit an Grundlagen der Systemtheorie, der Neurowissenschaften und der Körperpsychotherapie, welche ich hier kurz vorstellen möchte. Systemtheorie Als System wird eine Ganzheit beschrieben, deren einzelne Elemente miteinander korrelieren. „An die Stelle geradlinig-kausaler treten zirkuläre Erklärungen, und statt isolierter Objekte werden die Reaktionen zwischen ihnen betrachtet.“ (Simon 2015, 13) Die Systemtheorie versucht, Modelle zu entwickeln, mit denen sich diese Systeme beschreiben lassen, und findet in den unterschiedlichsten Feldern Anwendung: unter anderem in der Mathematik, Physik, Biologie, Ökonomie, Soziologie, Psychologie und auch in der Psychotherapie. SystemtheoretikerInnen betrachten das Verhalten eines einzelnen Elements eines Systems nicht ohne seinen Kontext (Berghaus 2022). Neurowissenschaft „Man muss eine Erfahrung am eigenen Leib machen, sonst ist es keine Erfahrung.“ (Hüther 2016, 137) Sinnvoll erscheint die Einbeziehung des Körpers in die therapeutische Arbeit auch vor dem Hintergrund neurowissenschaftlicher Erkenntnisse, nach denen wir zum Lernen immer auch Erfahrungen brauchen (Hüther 2016). Von einer Erfahrung spricht man dann, wenn eine Kopplung kognitiver und emotionaler Aktivierung stattfindet. Durch starke emotionale Aktivierung und Wiederholungen werden diese Erfahrungen irgendwann zu einer inneren Einstellung oder Haltung. Wenn ein destruktives Muster zu einer Haltung geworden ist, braucht es neue, korrigierende Erfahrun- Körper im Kontext 1 | 2023 23 gen (Hüther 2016). Wollen wir in der Therapie neue Muster und Haltungen etablieren, sollten wir unsere KlientInnen sowohl kognitiv als auch emotional aktivieren und genügend Zeit und Raum für Wiederholungen der neuen Erfahrung bieten. Da wir Emotionen über unseren Körper wahrnehmen und somit Zugang zu ihnen finden, liegt es nahe, diesen explizit einzubeziehen, um den Therapieraum so zu einem Erfahrungsraum zu machen. Körperpsychotherapeutischer Hintergrund Die körperpsychotherapeutische Basis einer Strömung der körperorientierten systemischen Therapie bilden Aspekte der Vegetotherapie Wilhelm Reichs (1989), eines Vorläufers der Körperpsychotherapie, und der sich daraus entwickelten Strömungen wie Bioenergetik, Hakomi etc. Auch grundlegende körperpsychotherapeutische Techniken wie die Verbundatmung (Grof 2008), Schreien (Janov 2007), Bonding (Casriel 1995) oder Modellszenen (Moser 2001) werden angewendet (Wienands 2019). Welche körperpsychotherapeutischen Hintergründe dann in der Praxis genau einfließen, ist vielfältig. Der Stil der Therapie bildet sich ohnehin aus den jeweiligen Ausbildungen und Interessen der AnwenderInnen heraus. Vermutlich sind Elemente aus jeder erlebnisorientierten, körperzentrierten, kreativen Methode mit der systemischen Haltung kombinierbar. Da ich selbst aus der Kunsttherapie komme, finden immer wieder auch künstlerische, kreative Methoden Einzug in meine Sitzungen. Ich nutze alles zur Verfügung Stehende, um den KlientInnen dabei zu helfen, aus einer rein kognitiven Position in die Erfahrung zu finden. Ein möglichst breites Spektrum an Zugängen ermöglicht einen sehr klientenzentrierten Einstieg, der sich im hohen Maße nach Vorlieben und Neugierde sowie Thematik und Symptomatik der KlientInnen richten kann. Auch Methoden aus der Konzentrativen Bewegungstherapie sowie die körperfokussierte Traumaarbeit Peter Levines (Somatic experiencing) inspirieren und ergänzen meinen Blick auf die körperorientierte Arbeit. Ansatz der körperorientierten systemischen Therapie Körperbezogenheit hat in der systemischen Therapie schon lange Tradition. Schon Virginia Satir mit ihrem Ansatz der erfahrungsorientierten Familientherapie oder Carl Whitaker mit seinem symbolisch-erfahrungsorientierten Ansatz haben körperorientierte Methoden und Ansätze verfolgt. Die Einbettung körperpsychotherapeutischen Wissens in die systemische Therapie ist besonders naheliegend, da viele systemische Grundhaltungen und Praktiken durch den Einsatz des Körpers in besonderem Maße zum Tragen kommen. Die Befruchtung findet dabei wechselseitig statt. Der systemische Hintergrund ist hilfreich für körperpsychotherapeutische Interventionen, und körperpsychotherapeutisches Wissen ergänzt und vertieft Prozesse in der systemischen Arbeit. Sie bilden eine prozessfördernde Synergie. Systemische therapeutische Haltungen verkörpern In der systemischen Therapie sind Methoden prinzipiell der systemischen Haltung untergeordnet. Das heißt, es geht weniger um das Was, als um das Wie. Einige dieser systemischen Grundhaltungen will ich hier zusammenfassen und um eine körperorientierte Perspektive ergänzen. Ressourcen Die Arbeit von TherapeutInnen ist im systemischen Sinne nicht zu verstehen als ein Akt, ein beschädigtes oder leeres Gefäß zu reparieren und zu befüllen, sondern wird von der Annahme geleitet, dass das KlientInnensystem grundsätzlich schon Ressourcen zur Problemlösung in sich trägt. Die Idee ist: Egal wie verletzt ein Mensch ist, ihm wohnt ein intuitives 24 1 | 2023 Jana Pluns Wissen darüber inne, was ihm gut tut oder gut getan hätte (Wienands 2005). Es wird im Therapieprozess also eher nach Schätzen als nach Fehlern gesucht. Zum KlientInnensystem gehört explizit auch der Körper mit seinem intuitiven Wissensschatz und seiner Fähigkeit, Gedanken und Impulse in Handlung zu transformieren. Als Träger von Emotionen und Gefühlen, z. B. repräsentiert in unwillkürlich verkörperten Haltungen, Spannungszuständen und Symptomen, ist der Körper eine seismographische Informationsquelle- - wenn wir denn hinhören. Den Körper im Therapieprozess als Ressource und Verbündeten kennen zu lernen, erhöht die Handlungs- und Selbstwahrnehmungsfähigkeit der Klient- Innen. Es geht auch in der körperorientierten systemischen Therapie nicht darum, die Klient- Innen durch eigene Anstrengung von außen zu „heilen“. Vielmehr unterstützt man das Klient- Innensystem dabei, von einem Gefühl des Blockiert-Seins in ein Gefühl des Fließens und der Lebendigkeit zu finden. Eine Klientin hat mit „Fressattacken“ zu kämpfen und straft sich selbst für dieses Verhalten hart ab. Immer wieder versucht sie erfolglos, damit aufzuhören. Beim Gedanken daran, was passieren würde, wenn die Fressattacken tatsächlich hier und jetzt für immer aufhören würden, steigt Angst und Traurigkeit in ihr auf. Sie lokalisiert dieses Gefühlsgemisch als schmerzhafte Empfindung in ihrer Herzgegend, und ich ermutige sie, den Atem fließen zu lassen, ihre Hand auf die Stelle ihres Herzens zu legen. Es taucht unmittelbar ein Satz in ihr auf: „Bitte nimm mir das nicht auch noch weg, es ist das letzte was ich habe! “ Im Laufe der Sitzung geht sie einen Dialog mit dem Teil in ihr ein, für den das Essen wichtig ist, um sich Wärme, Geborgenheit und Schutz zu verschaffen. Sie versucht dem Teil mitzuteilen, dass das auch ohne Fressattacken möglich ist und er aufhören soll, so viel Angst zu haben, woraufhin sie den Kontakt zu dem Anteil verliert. Erst als sie Mitgefühl für die Bedürftigkeit dieses Anteils in sich aufbringen kann und sie ihm sagt, dass sie ihn gehört hat und ihm verspricht,sich darum zu kümmern, sie aber noch nicht genau weiß, wie das gehen kann, fühlt sich ihr Herz etwas ruhiger an. Im weiteren Therapieverlauf schlägt sie eine Brücke zu ihrer Lebensgeschichte und fängt langsam an, im Therapieraum, mit sich selbst und in der PatientInnengemeinschaft in der Klinik Wege zu erproben, sich Wärme, Geborgenheit und Schutz zu schenken. Es wird nach anderen Ressourcen gesucht, die einmal Ähnliches für den Anteil tun können wie das Essen, nur mit weniger unangenehmen „Nebenwirkungen“. In diesem Beispiel wird deutlich, dass der Körper in vielerlei Hinsicht zur Ressource werden kann. Zum einen hilft er der Patientin gewissermaßen sehr konkret dabei, sich die Bedürfnisse nach Wärme etc. zu erfüllen, indem er sich eine „wärmende Schicht“ zulegt, zum anderen ermöglicht er durch den in der Herzgegend empfundenen Schmerz, Zugang zu tieferliegenden Schichten zu finden. Im Weiteren hilft er ihr z. B. bei Probehandlungen in der Therapie, neue Erfahrungen zu machen. Neutralität Die systemischen TherapeutInnen bemühen sich um eine offene, neutrale Haltung sowohl den verschiedenen sozialen Mitgliedern eines Systems gegenüber als auch gegenüber den inneren Anteilen, Ideen oder bestehenden Problemlösungen. Allen Aspekten soll gleich anerkennend begegnet werden (Schlippe / Schweitzer 1996). Häufig erleben KlientInnen eine Ambivalenz zwischen dem, was der Kopf, das Herz oder der Bauch gerade möchte. Die systemische Haltung der Neutralität hilft den körperorientiert arbeitenden TherapeutInnen sowohl dabei, die aufkommenden Impulse der KlientInnen nicht zu bewerten, als auch allparteilich gegenüber den verschiedenen Anteilen und Empfindungen innerhalb der KlientInnen zu reagieren. Zudem Körper im Kontext 1 | 2023 25 ermöglicht es in der Wahl des körperlichen Zuganges eine möglichst wertfreie und offene Haltung. Es ist im Grunde zweitrangig, ob die KlientInnen durch den Raum rollen, ihr Gefühl als Skulptur darstellen, es herausschreien oder malen wollen, solange es den KlientInnen hilft, sich auszudrücken und etwas in Bewegung zu bringen, was vorher wie eingefroren war. Auch auf die verrücktesten Ideen, die wildesten Phantasien wird erst einmal offen reagiert, um dann gemeinsam zu evaluieren und zu planen, wie und in welchem Rahmen es im Hier und Jetzt oder in der Phantasie umsetzbar ist. Dies gilt auch für eventuell aufkommende starke körperliche Reaktionen. Ich muss nicht vor dem Zittern, Weinen, Erblassen, Erröten der KlientInnen zurückschrecken. Wird die körperliche Reaktion als lähmend und unaushaltbar wahrgenommen, können Umgangsweisen vorgeschlagen oder gemeinsam entwickelt und erprobt werden. Ein Klient thematisiert seit längerem, immer sehr genau auf Regeln zu achten und diese penibel einzuhalten. Da dies seine Lebensqualität enorm einschränkt, formuliert er die Sehnsucht, sich auch mal dagegen entscheiden zu können. Auf der Suche nach Erfahrungen, in denen er es geschafft hat, eine Regel zu brechen, erinnert er sich daran, wie sehr er als Kind Piraten geliebt hat. Nach einem ausgiebigen Austausch unseres Piratenwissens lade ich ihn ein, eine persönliche Piratenflagge zu gestalten. Er bringt zur nächsten Sitzung ein altes Bettlaken mit, das er zu einer großen Piratenflagge bemalt. Mit blitzenden Augen fragt er, ob er die Flagge mal aus dem Fenster hängen darf, so dass alle sie sehen können, und wir befestigen die Flagge für die Dauer der Sitzung außen an den Fenstern des Therapieraumes. Wahlmöglichkeiten erweitern Der ethische Imperativ nach Heinz von Foerster heißt „Handle stets so, dass die Anzahl der Wahlmöglichkeiten größer wird! “ (Schlippe / Schweitzer 1996). Ziel für die Therapie ist hier, dass die Verhaltens- und Erlebensspielräume der KlientInnen erweitert werden. Beim Umsetzen des „ethischen Imperativs“ ist die Körperorientierung besonders hilfreich. Durch das Verlassen des Therapiesessels, durch das Hinlegen auf den Boden, durch das Gehen im Raum ist schon der erste Schritt getan, um den Handlungsspielraum und damit die Wahlmöglichkeiten der KlientInnen im Hier und Jetzt zu erweitern. Ich kann sitzen bleiben und mich wie gewohnt in Problemtrance quatschen, bis ich das Gefühl bekomme, den Boden zu verlieren, ich kann aber auch weitersprechen und währenddessen auf dem Boden sitzen, die Wand im Rücken begleitend wahrnehmen und mich dadurch gehalten und geerdet fühlen. Ich kann jedes Mal die Luft anhalten, wenn ich über die eingeschlafene Sexualität mit meiner Partnerin spreche, oder ich kann, während ich mich dem Thema nähere, in mein Becken atmen, ohne damit direkt etwas tun zu müssen, und wahrnehmen, was sich verändert. Ich kann wieder anfangen zu weinen und in mir versinken, weil ein Bedürfnis nicht erfüllt wurde, oder ich kann im geschützten Rahmen ausprobieren, mit meiner konstruktiven Wutkraft in Kontakt zu kommen, um das nächste Mal zumindest die Wahl zu haben, ob ich Trauer oder eine Wut erzeuge, die mir hilft, in die Handlung zu kommen. Irritation Wir können als TherapeutInnen autopoietische, also sich selbst erhaltende und erschaffende Systeme nicht „mal eben“ verändern. Auch nicht die der KlientInnen. Aber wir können als Irritation in Erscheinung treten und auf diese Weise Musterunterbrechungen ermöglichen, die das System dann wieder als neue Erfahrung in sich aufnehmen und verarbeiten kann. In diesem Zusammenhang ist es hilfreich, sich in eine Haltung des „Nicht-Wissens“ zu begeben. Die TherapeutInnen treten demnach nicht als Allwissende mit den richtigen Ratschlägen auf, sondern respektieren die Selbstorganisation 26 1 | 2023 Jana Pluns des KlientInnensystems (Schlippe / Schweitzer 1996). War eine Irritation eine emotional bedeutsame Erfahrung, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sie in das komplexe System von Wechselwirkungen und Mustern mit eingeflochten wird. Wie bereits erwähnt, wird emotionale Bedeutsamkeit sehr stark über den Körper empfunden und verarbeitet. Irritationen in der Therapie also nicht nur auf der verbalen Ebene zu platzieren, kann den Prozess um ein Vielfaches intensivieren. Durch sinnliche Aktivierung, spielerisches Experimentieren und Probehandlungen können hilfreiche Lösungsbewegungen entstehen. Trotzdem liegt es nicht in der Macht der TherapeutInnen, wie das System die neue Handlungsmöglichkeit verarbeitet und ob sie vom KlientInnensystem wirklich als brauchbarer als die alte, „problematische“ Strategie integriert wird. Hinter Symptomen stehen Bedürfnisse Symptome, Impulse und Reaktionen der Klient- Innen werden u. a. als Hinweise auf dahinterliegende Bedürfnisse aufgefasst. Anders gesagt hat oder hatte jedes Symptom einen Sinn und steht für einen beziehungsgestaltenden Lösungsversuch. Das heißt auch, dass Symptome als Ausdruck der Beziehung allen Beteiligten gehören (Wienands 2005). Auch hier geht der systemische Blick weg von der Pathologisierung und hin zu einer Würdigung des Versuchs, der mit den damaligen Möglichkeiten entwickelt wurde. Missglücken die alten Lösungsversuche im erwachsenen Alltag der KlientInnen, kann man sich in der Therapie gemeinsam auf die Suche nach Ressourcen und neuen Lösungsimpulsen machen, die der jetzigen, erwachsenen Situation angemessener erscheinen und den KlientInnen bestenfalls ein lebendigeres, zufriedeneres Leben ermöglichen. Die Idee der körperorientierten systemischen Therapie ist es, im Hier und Jetzt, am eigenen Leib eine neue Erfahrung in Bezug auf das Problemerleben und -lösen zu machen. Um sowohl bei der Suche nach dem eigentlichen Bedürfnis hinter dem Symptom als auch bei der Suche nach neuen Wegen das Bedürfnis zu erfüllen, werden explizit auch körperliche Impulse und Eigenbewegungen befragt und berücksichtigt. Modell-Ablauf Im Folgenden skizziere ich den möglichen Ablauf eines körperorientierten systemischen Therapieverlaufs anhand eines Fallbeispiels. Ich versuche dabei, die wesentlichen Prinzipien und Schritte deutlich zu machen. Wichtig ist an dieser Stelle aber, dass es nie um die rezepthafte Anwendung einer Methode gehen kann. Entscheidend ist das Einnehmen der systemischen Grundhaltungen. Daraus ergibt sich selten ein linearer Ablauf, sondern vielmehr ein „Umkreisen und Balancieren“ der Thematik (Wienands 2005). Der folgende Ablauf berücksichtigt das Pendeln zwischen verbalen, kognitiven und einordnenden Abschnittenundintuitiven,erfahrungszentrierten und körpernahen Elementen. 1. Sicherheit schaffen und Ziel formulieren Eine Grundvoraussetzung, um therapeutisch zu arbeiten, ist, eine sichere Atmosphäre herzustellen. Dies gilt insbesondere für die Arbeit mit dem Körper, da für viele, vor allem traumatisierte Menschen, der Körper nicht in erster Linie als Ressource erlebt wird. Das „Alltagsrauschen“ soll reduziert werden, um den Klient- Innen Raum zu schaffen, ihre inneren Bewegungen und Impulse wahrnehmen zu können (Wienands 2019). Gerade bei erlebnisintensivierenden Methoden ist es zudem wichtig, die KlientInnen trotz ForscherInnengeist und Liebe zum Unbekannten nicht ohne Zielrichtung in die Erfahrung zu schicken und das Anliegen eingangs gut zu klären. Körper im Kontext 1 | 2023 27 Klient Stefan (Name anonymisiert), erfolgreich im Beruf, sozial gut eingebunden, kommt mit dem Gefühl in die Therapie, innerlich „wie gelähmt“ zu sein. Seit einiger Zeit kommt er schwerer ins Handeln als er es von sich kennt, und wenn es um Entscheidungen geht, bekommt er „Watte im Kopf“. Auslöser war, dass sein ehemaliger Praktikant ohne sein Wissen ein neu entwickeltes Konzept von ihm eins zu eins kopiert und vor ihm veröffentlicht hatte. Bis zu dem Zeitpunkt hatte er es nicht geschafft, den Praktikanten zur Rede zu stellen, und war im Anschluss an den Vorfall in einen depressiven Zustand geglitten. Nach einigen Sitzungen entsteht das Gefühl, verbal vor einer Sackgasse zu stehen. Ich biete ihm an, körperorientiert weiterzuarbeiten, da bereits eine gute therapeutische Beziehung aufgebaut war. Er erklärt sich einverstanden. Als Ziel formuliert er, sich in Bezug auf das Problem handlungsfähiger und klarer im Kopf erleben zu wollen. 2. Explorieren und Intensivieren Als Überleitung vom Verbal-Kognitiven in die Erfahrung kann zunächst die Körperwahrnehmung verstärkt einbezogen werden, indem das Problemerleben im Körper lokalisiert und anschließend verstärkt wird. Es gibt vielfältige Wege, die Brücke in den Körper zu schlagen: ein Positionswechsel (z. B. hinlegen), die Vertiefung des Atems, Selbst- oder Fremdberührungen u. v. m. Die Frage „wo spürst du das im Körper“ bildet einen typischen Beginn in der körperzentrierten psychotherapeutischen Arbeit. Wichtig ist die „Erlaubnis“ wahrzunehmen, was jetzt gerade im Körper passiert, und das Erleben in einer Intensität in den therapeutischen Raum zu holen, die der im Problemerleben nahekommt. Dafür können die Klient- Innen beispielsweise gebeten werden, den Druck durch Körperspannung oder Druck von außen zu verstärken. Hierbei ist es hilfreich, im Sinne vom „Pendeln und Titrieren“ (Levine 2011, 104) kleinschrittig vorzugehen. Ich bitte Stefan, sich die Situation mit dem Praktikanten zu vergegenwärtigen und währenddessen auf seine Körperwahrnehmung zu achten. Dann frage ich ihn, wie er das Problemerleben, ohne zu sprechen, körperlich ausdrücken würde. Er stellt sich hin und versetzt seinen gesamten Körper in Anspannung. Er „erstarrt zur Salzsäule“. Um es komplett zu machen, suchte er sich anschließend ein halbtransparentes Tuch und setzte es sich auf den Kopf. Ich bitte ihn nun, seine körperlichen Empfindungen zu beschreiben. Er erlebt seine Füße wie festgewachsen und verkrampft, und durch das halbtransparente Tuch sieht er seine Umgebung nur noch verschwommen, was ihn benommen im Kopf macht, aber auch eine schützende Komponente für ihn hat. Ich ermutige ihn, die Spannung im Körper noch zu verstärken und die Füße noch stärker in den Boden zu krallen. Auf die Frage, ob sich dadurch etwas verändert, antwortet er: „Ich glaube, ich müsste mich noch kleiner machen, um es zu verstärken“. Als er sich auf den Boden hockt, spannt er wieder den gesamten Körper an und sagt: „Ich weiß einfach, dass ich mich nicht bewegen darf, sonst passiert etwas ganz Furchtbares.“ 3. Kontextsuche Wesentlich für die körperorientierte systemische Therapie ist, dass die KlientInnen möglichst nicht ohne Kontext in die Erfahrung geschickt werden. Es wird also gemeinsam danach gesucht, welche Kontextfaktoren der im Problemerleben auftauchenden Emotionen relevant sein könnten. Hierfür kann z. B. gefragt werden, woher die Person die Empfindungen noch kennt oder ob weitere Körperempfindungen, Bilder, Assoziationen oder Gedanken dazu auftauchen, die Hinweise auf die „Urszenen“ geben können. Ich frage ihn, wie alt er sich gerade intuitiv fühlt. Er antwortet unmittelbar, er fühle sich wie elf. Auf Nachfrage, was denn in seinem Leben passiert sei, als er elf Jahre alt war, kam die Er- 28 1 | 2023 Jana Pluns innerung an eine Szene mit seiner alkoholabhängigen Mutter in sein Bewusstsein. Seine Mutter hatte sich ihm gegenüber im alkoholisierten Zustand des Öfteren grenzüberschreitend verhalten und stand an einem Tag plötzlich in seinem Zimmer und wollte sich mit ihm unterhalten. Als er sagte, er wolle alleine sein, fing sie an, Gegenstände von seinem Schreibtisch gegen ihn zu schmeißen. Situationen wie diese waren wohl häufiger vorgekommen, und er hatte sie ausgehalten und stumm über sich ergehen lassen. An diesem Tag beschloss er, sich aufzurichten und seine Mutter aus seinem Raum zu schieben. Bei dem Versuch, die Mutter aus dem Zimmer zu schieben, stürzte sie unglücklich, woraufhin sie vor seinen Füßen regungslos in einer Blutlache lag. Er erinnert sich, minutenlang nur dagestanden zu haben, und dass er dachte, er habe seine Mutter getötet. Irgendwann rührte sich die Mutter wieder und verließ wortlos das Zimmer. Im Gespräch bilden wir die Hypothese, dass Stefan- - ausgelöst durch verschiedene aktuelle Lebensereignisse- - massiv mit der früheren Situation als Sohn einer Alkoholikerin im Allgemeinen und die Situation mit dem Sturz in seinem Zimmer im Besonderen konfrontiert sein könnte. Zu den aktuellen „Triggerpunkten“ gehörten sowohl die Grenzüberschreitung des Praktikanten als auch die Tatsache, dass sein Sohn zu dem Zeitpunkt im gleichen Alter ist wie er damals. Wir vermuten, dass eine Verknüpfung von „mein persönlicher Raum wird nicht gewahrt / meine Grenze wird überschritten“ und „aufstehen und sich zur Wehr setzen“ unmöglich ist, da dieser Schritt schlimme Konsequenzen haben könnte. Stefans Weg, Gefühle von Wut über die Grenzüberschreitung zu blockieren und damit letztlich die Mutter nicht zu verletzen, wird auf körperlicher Ebene unter anderem als Lähmungsgefühl wahrnehmbar. 4. Verlebendigung und Ausdruck (alter) Gefühle Im nächsten Schritt kann ermutigt werden, stärker in den Ausdruck der Emotionen zu gehen. Es geht hierbei um die Erlaubnis, hier, jetzt und heute raus aus der Starre, raus aus der Ohnmacht zu kommen und so zu handeln, wie es damals nicht möglich war. Dafür wird alles eingesetzt, was lebendig macht. Zum Beispiel Atmung, Bewegung und die Stimme. Wie bereits bei der Kontextsuche erwähnt, ist es hier elementar, dass Impulse und Emotionen nicht einfach abreagiert, sondern integriert werden. „Emotionen sind kein Müll, der abgeladen werden soll. Sie gehören ins Beziehungserleben integriert.“ (Wienands 2005, 153) Die Grundannahme ist hier, dass die Klient- Innen Impulse wahrnehmen, die als sinnvolle (lösungsorientierte) Handlungsweisen zu verstehen sind, aber abgespalten wurden, weil sie früher als zu bedrohlich im Kontakt mit anderen erlebt wurden. Wird die emotionale Ladung wahrnehmbar und dann einfach abreagiert, kommt es dem Wegschicken des Kindes mit seinen Emotionen gleich (Wienands 2019). Das heißt also, sich ohne Kontext in einen emotionalen Zustand hineinzubegeben und diese Reaktionsweisen auszuagieren, beispielsweise indem wild um sich geschlagen und geschrien wird, mag für den Moment eine befreiende, entlastende Wirkung entfalten. Langfristigere und tiefgreifendere Veränderungen werden allerdings eher ermöglicht, wenn diese Wut/ Trauer etc. konkret adressiert wird und dort landet, wo sie ursprünglich hingehört. So wird dann z. B. heute im Therapieraum der Mama all die Wut und Enttäuschung über ihren Weggang aus der Familie ins Gesicht geschrien. Oder es wird sich heute auf eine Weise in Papas Arme gekuschelt, wie es das Kind eigentlich gebraucht hätte. Alles, was im Therapieraum nicht real anwesend sein kann, kann mithilfe von StellvertreterInnen und Gegenständen symbolisiert werden. Körper im Kontext 1 | 2023 29 Wir explorieren zunächst im Gespräch, was der Elfjährige in dieser Situation eigentlich gerne gemacht und was er gebraucht hätte. Zum einen taucht das Bild von einer starken Kraft auf, die ihm helfen kann, die im alkoholisierten Zustand übergriffige Mutter aus seinem Raum raus zu halten. Zum anderen ist es, Trost und Schutz durch den Vater zu erfahren, der damals kaum anwesend war. Bei dem Gedanken an dieses Bild kommen ihm die Tränen. Er wünscht sich, mit dem „Rausschmeißen“ zu beginnen, da der Schmerz über den nicht anwesenden Vater ihm zu diesem Zeitpunkt zu viel sei. Stefan legt mit einem Seil symbolisch sein Kinderzimmer auf den Boden. Als Symbol für die starke Kraft legt er einen schweren Medizinball neben sich. Anschließend begibt er sich imaginativ in die damalige Szene im Kinderzimmer zurück. Ich leite ihn an, so viele Details wie möglich vor seinem inneren Auge zu sehen (Atmosphäre, Raum, Anwesende …) und stelle mich dann als Stellvertreterin der Mutter außerhalb des Seils ihm gegenüber. Zunächst will Stefan versuchen, mit Hilfe der starken Kraft in seinem Rücken, die Mutter aus seinem Raum zu halten. In Absprache beginne ich anschließend, in seinen Raum einzudringen, und ermutige ihn, mich mit ganzer Kraft raus zu schieben, was ihm zunächst sehr schwer fällt. Er fängt an zu weinen. „Es geht einfach nicht“. Ich unterstütze ihn, seine Tränen fließen zu lassen, weiter zu atmen, sich vom elfjährigen Stefan zeigen zu lassen, wie schlimm sich das damals angefühlt haben muss, und ihn in diesem Moment nicht wieder mit seinem Schmerz wegzuschicken. 5. Lösungsbewegung Durch das Zulassen und Verlebendigen alter, blockierter Gefühle wird häufig ein neuer Handlungsspielraum möglich. Dieser darf dann ausprobiert und vor allem selbst gestaltet werden. Die neue Erfahrung wird selbstbestimmt erprobt und bei Bedarf so oft wiederholt, bis hier und jetzt Lösungsbewegungen möglich werden und so dem Zielerleben nähergekommen wurde. Mit Lösungsbewegungen meine ich nicht die alten Lösungswege, sondern die hinzugekommenen neuen Lösungsversuche (Impulse, die sich häufig spontan in der erlebniszentrierten therapeutischen Arbeit andeuten). Zunächst geht es darum, das neue Handlungsschema in Aktion umzusetzen. Auch wenn es im Therapieraum erstmal künstlich wirken kann, bringt die entsprechende Handlung Veränderung ins System. Anschließend bestärkte ich Stefan erneut darin, sich in das Erleben der Situation hineinzubegeben. Ich biete dabei folgende verbale, unterstützende Intervention an: „Und wenn es für dich passt, geh jetzt als erwachsener Stefan mit in die Situation und zeig dem kleinen Stefan, wie viel Kraft du heute hast! Lass es ihn miterleben! Du bist groß und stark und darfst zeigen, dass du wütend bist! Spring für ihn in die Bresche, wie du es dir von deinem Vater gewünscht hättest. Verbinde dich mit der starken Kraft in deinem Rücken. Nimm deine Stimme zur Hilfe.“ Er fängt an, mich mit mehr Vehemenz aus seinem Raum zu schieben und ruft dabei „Raus! “. Um die Kräftedifferenz zwischen uns auszugleichen, einigen wir uns, dass er die Kraft vor allem in seine Stimme verlagert. Mit der Zeit wird er lauter: „Das ist mein Raum! Du hast hier nichts zu suchen! “ Zwischendurch frage ich ihn, wie viel Prozent seiner Wutkraft er sich erlaubt hat auszudrücken, und wir gehen mehrmals erneut in die Situation, bis er zufrieden ist. Dass es reicht, merkt er irgendwann daran, dass er sich körperlich ganz lebendig und in seiner realen Größe fühlt. 6. Einordnung und Transfer Nach der Erfahrung im Therapieraum braucht es die Verbindung in die alltägliche Gegenwart der KlientInnen. Dafür kann das Erlebte zum einen kognitiv in den Alltag eingeordnet und wieder in Zusammenhang mit dem aktuellen 30 1 | 2023 Jana Pluns Problemgeschehen gebracht werden. Weiterführend kann die neue Erfahrung zum Beispiel mit Hilfe einer „Hausaufgabe“ (Wienands 2019, 16) konkret in den Alltag eingebunden werden. Diese sollte mit den eigenen Ressourcen selbstständig lösbar sein (Wienands 2005). Im Laufe der nächsten Sitzungen erarbeiten wir, wie er die „Erlaubnis, seine Kraft und Wut einzusetzen, um sich zu schützen und für sich einzustehen“ in seinen Alltag integrieren kann. Er stellt ein Foto von sich aus der damaligen Zeit auf und legt daneben einen Stein, den er mit Stärke und Halt verbindet. Außerdem fasst er den Entschluss, seinen ehemaligen Praktikanten mit dem Ideendiebstahl zu konfrontieren. Fazit Das Fallbeispiel zeigt auf, wie das Symptom den Klienten davon abgehalten hat, in die Abgrenzung, die Wut, die Handlung zu kommen. Mit dem Leid der „Lähmung“ umzugehen, war einem Anteil des Klienten erträglicher als die befürchtete Konsequenz der Handlung. Die traumatypische Reaktion der Starre auch psychoedukativ zu erklären, trägt zur Selbstempathie und Einordbarkeit der oftmals verunsichernden Körperreaktion bei. Gleichzeitig hat das Symptom und der daraus entstandene Leidensdruck den Klienten auch dazu gebracht, sich in Therapie zu begeben und sich dem Teil in sich zuzuwenden, der verängstigt, allein und voller Schuldgefühle zurückgeblieben ist. Der Körper wurde in seiner Rolle als Symptomträger und als Träger eines tiefen intuitiven Wissens um seinen Entwicklungsweg ernst genommen und eingebunden. Ich möchte aber betonen: Die in diesem Fallbeispiel beschriebene Thematik des Klienten hätte auch komplett anders angegangen werden können. Zu diesem Zeitpunkt, in diesem Raum und mit der bestehenden Therapeutin- Klient-Beziehung war dies die „Choreografie“ (Wienands 2019, 64), die sich stimmig angefühlt hat. So war die Erlaubnis, in die Kraft zu kommen, der Entwicklungsschritt, den Stefan unter den vorhandenen Bedingungen gehen konnte und wollte. Der Körper in der Therapie erweitert sowohl das Handlungsspektrum der KlientInnen als auch das der TherapeutInnen. Zusammenfassend können wir in der Therapie Räume schaffen, in denen die eigene Lebendigkeit gelebt werden darf und in denen die KlientInnen in Kontakt mit sich selbst kommen. Und zwar ohne dass Gefahr droht, abgestraft, verlassen oder existenziell bedroht zu werden. Es geht darum, mutig Neues auszuprobieren, was dann als neue Farbe in die Palette der Möglichkeiten aufgenommen werden kann. Und damit diese neue Farbe wirklich ins Repertoire des KlientInnensystems gelangen kann, braucht es eine konkrete Erfahrung am eigenen Leib, die ihnen zeigt: Es geht-- und ich sterbe nicht daran. Vielleicht fühlt es sich sogar gut an. Literatur Berghaus, M. (2022): Luhmann leicht gemacht: Eine Einführung in die Systemtheorie. 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