eJournals körper tanz bewegung 11/1

körper tanz bewegung
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2195-4909
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/ktb2023.art06d
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2023
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Aktuelle Studien zu Tanztherapie und Bildung

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2023
Iris Bräuninger
Diese Ausgabe beschäftigt sich mit Tanzbewegungstherapie (TT) im Bildungsbereich: Neben einer Interventionsstudie mit gesunden Kindern im Grundschulalter wird eine qualitative Studie mit tanztherapeutischen Lehrpersonen zu ihren theoretischen Kernprinzipien und Unterrichtsstrategien vorgestellt. Der Beitrag schließt mit einem Vorschlag zur Entwicklung eines Bildungsmodels emotionaler Intelligenz durch Tanzbewegungstherapie ab.
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Aktuelles aus der Forschung 37 körper-- tanz-- bewegung 11. Jg., S. 37-40 (2023) DOI 10.2378/ ktb2023.art06d © Ernst Reinhardt Verlag Aktuelle Studien zu Tanztherapie und Bildung Iris Bräuninger D iese Ausgabe beschäftigt sich mit Tanzbewegungstherapie (TT) im Bildungsbereich: Neben einer Interventionsstudie mit gesunden Kindern im Grundschulalter wird eine qualitative Studie mit tanztherapeutischen Lehrpersonen zu ihren theoretischen Kernprinzipien und Unterrichtsstrategien vorgestellt. Der Beitrag schließt mit einem Vorschlag zur Entwicklung eines Bildungsmodels emotionaler Intelligenz durch Tanzbewegungstherapie ab. Do’s und Don’ts in der Tanzbewegungstherapie mit gesunden Grundschulkindern Die Studie von Vulcana und Shuper Engelhard (2022) untersuchte, ob sich das in der Kunsttherapie bewährte Open Studio (OS) Modell auf die Tanztherapie mit Grundschulkindern adaptieren lässt. Ziel war, durch kreative Tanz- und Bewegungsprozesse eine sichere Umgebung zu schaffen und den kreativen Ausdruck zu fördern. Nach Allen (2008) steht nicht die therapeutische Beziehung, der Krankheitsprozess oder die Pathologie im Zentrum des OS, sondern die kreative Arbeit, der heilende Prozess des Experimentierens und die Gesundheit des Individuums. An der Studie nahmen 18 gesunde Kinder teil, darunter zehn Mädchen, welche zweimal pro Woche über drei Wochen sechs OS-TT-Workshops zu 60 Minuten besuchten. Drei TT-MA-Studierende waren als Moderatorinnen involviert: eine leitete die OS-TT, eine zweite notierte die Verhaltens- und Bewegungsmerkmale (Raum, Kraft, Zeit, Intensität und Vielfalt), und eine dritte zeichnete die verbalen Inhalte während der Workshops auf. Die Moderatorinnen besprachen vor und nach den Workshops die Stunden, und erfahrene TanztherapeutInnen werteten die Daten anhand der subjektiven interpretativen phänomenologischen Analyse (IPA) aus, clusterten die Daten, erstellten Themenlisten und überprüften diese erneut. Folgende drei Hauptergebnisse wurden formuliert: 1. Eine flexible, aber klar strukturierte Führung zeigte sich erfolgreich, beispielsweise um Austausch und Entspannung zu fördern, hingegen provozierte eine zu offene Moderation Unsicherheit und Bewegungshemmungen bei den Kindern. 2. Die geplante oder spontane Verwendung von Requisiten diente als Projektions- und Visualisierungsmittel für fantasievolle Geschichten, unterstützte die Zugehörigkeit und Verbundenheit zur Gruppe und förderte die Erforschung der inneren kindlichen Welt. 3. Der kontinuierliche Wechsel zwischen den Medien visueller Ausdruck und Bewegungsausdruck entsprach den kindlichen Bedürfnissen und förderte das Gefühl von Sicherheit, um die innere Welt anderen mitteilen zu können. 38 1 | 2023 Iris Bräuninger Kompetenzen von Lehrenden in der Tanzbewegungstherapie-Ausbildung Die qualitative Studie von Blanc (2021) untersuchte die Lehrpraktiken von TT-Dozierenden zur Forschungsfrage „Welche Kernprinzipien der Theorie und Unterrichtsstrategien tragen zur Lehr-Theorie in der TT in den Vereinigten Staaten bei? “ Von den sieben ADTA-anerkannten TT-Programmen wurden je zwei Dozierende mit mindestens fünf Jahren Lehrerfahrung rekrutiert. In teilstrukturierten Interviews wurden sie zu ihren Unterrichtserfahrungen befragt, um gemeinsame Themen zu entdecken und Gespräche über Trainingsprogramme zu beginnen. Die transkribierten Interviews wurden auf Basis der Grounded Theory analysiert und in sechs Kategorien und 28 Unterkategorien kodiert. Anschließend wurden je drei Teilnehmende in zwei Fokusgruppen zur Vertiefung zu den sechs identifizierten Kategorien befragt. Zur Reflexion der eigenen Position setzte die Autorin Member Checking, Peer Review und ein persönliches Forschungsjournal ein. Die Ergebnisse ergaben sechs gemeinsame Hauptthemen: 1. Selbstwahrnehmung und Wachstum (bezogen auf die Studierenden während ihres TT-Studiums) 2. Kultur, Diversität und Soziale Gerechtigkeit (bezogen auf den Parallelprozess bei Studierenden und Lehrenden) 3. Experimentelles und verkörpertes (embodied) Lernen (bezogen auf die Integration theoretischen Wissens, Erfahrungslernens und praktischer Fähigkeitsentwicklung) 4. Das Unbekannte tolerieren (bezogen auf die Fähigkeit der Studierenden, prozessorientiertes experimentelles Lernen in einer sicheren Umgebung mit klaren expliziten Lernzielen zu tolerieren) 5. Mentorieren und Modellieren (bezogen auf die Wichtigkeit der Beziehung zwischen Lehrenden und Studierenden und auf das Modellieren der persönlichen Verwundbarkeit und Authentizität des Selbst in der Lehrsituation) 6. Lehrperson und TherapeutIn parallel (bezogen auf die Einbeziehung der eigenen therapeutischen Fähigkeiten in den Unterricht zur Unterstützung und Veranschaulichung). DMT-EI-Bildungsmodell Die theoretische Arbeit von Ortuño-Ibarra und Rodríguez-Jiménez (2022) stellt ein Bildungsmodell für verschiedene Kontexte und Bevölkerungsgruppen vor. Im Modell werden Prinzipien der Emotionellen Intelligenz (EI) mit Prinzipien der Tanzbewegungstherapie (DMT) und der Emotionsregulation (ER) verbunden, wobei die Laban-Bewegungsanalyse (LMA) und die Beziehung zwischen motorischen Mustern und Emotionen das Kernstück des Modells bilden. Das Modell (angelehnt an Salovey / Mayer 1990) gliedert sich in vier Module: 1. Emotionen wahrnehmen 2. Emotionen nutzen 3. Emotionen verstehen 4. Emotionen managen Jedes Modul wird in diesem Modell mit einem EI-Zweig, einer sozial-emotionalen Fähigkeit, einem DMT-Element, einer Erkundungsqualität, einem angestrebten Ergebnis (siehe Tabelle-1) und Interventionsbeispielen verbunden. Schlussfolgerung Die OS-Studie von Vulcan und Shuper Engelhard (2022) eröffnet Erkenntnisse für die tanztherapeutische Arbeit mit Grundschulkindern: Klar strukturierte Anleitung, Verwendung von Requisiten, aktive therapeutische Moderation und Kombination von künstlerisch-visuellem Ausdruck und Bewegungsausdruck scheinen sich förderlich auf die Entwicklung einer sicheren Umgebung für Ausdruck 1 | 2023 39 Aktuelles aus der Forschung und Kreation auszuwirken. Als kontraindiziert könnten sich hingegen zu offen formulierte Aufforderungen und rein verbal angeleitete Imaginationsinstruktionen erweisen. Die Ergebnisse aus Blancs Studie (2022) scheinen relevante Erkenntnisse über notwendige Kompetenzen von Lehrenden in der Tanzbewegungstherapie-Ausbildung zu liefern: Um erfolgreiche TanzbewegungstherapeutInnen ausbilden zu können, sollten Lehrende authentische Persönlichkeiten mit therapeutischer Berufserfahrung sein, die über Kompetenzen im Mentoring und Modelling und über Diversitäts- und Gerechtigkeitsbewusstsein verfügen; sie sollten ferner experimentelles und verkörpertes Lernen ermöglichen und Studierende in deren Wachstum begleiten können. Das Modell von Ortuño-Ibarra und Rodríguez-Jiménez (2022) zeigt Möglichkeiten und Interventionen auf, wie EI im Bildungs- und Gesundheitsbereich und in anderen Anwendungsbereichen der Tanzbewegungstherapie (Künste, soziale Bereiche, Unternehmen) adressiert werden kann. Programm Äste (Salovey & Mayer, 1990) Sozial-emotionale Skills (S-E Skill) Komponenten von DMT & LMA Explorationsqualitäten Outcome Modul 1 Emotionen wahrnehmen Selbstwahrnehmung Körper / Körperbild Wie erlebe ich mich? Was sind meine Wahrnehmungen? Was sind meine Empfindungen? Emotionen / Ressourcen Modul 2 Emotionen nutzen Verantwortliche Entscheidungsfindung Zeit, Raum Entscheidung / Wann muss ich handeln? Aufmerksamkeit/ Denken / Wohin gehe ich? Lösungen erkennen / Aufgeschlossenheit Modul 3 Emotionen verstehen Soziales Bewusstsein Beziehungen Wie interagiere ich mit anderen? Andere Perspektiven einnehmen / Stärken bei anderen erkennen / Empathie Modul 4 Emotionen managen Selbstregulation Gewicht, Fluss, Zeit, Raum Wie kann ich mich selbst regulieren? Emotionen identifizieren / Strategien zur Selbstregulation identifizieren Tab. 1: DMT-Interventionsmodell zur Bildung emotionaler Skills (Ortuñno-Ibarraa / Rodriguez-Jimeneza 2022, Übersetzung durch die Autorin) 40 1 | 2023 Iris Bräuninger Literatur Allen, P. B. (2008): Commentary on community-based art studios: Underlying principles. Art Therapy 25 (1), 11-12, https: / / doi.org/ 10.1080/ 07421656.2008.10129350 Blanc, V. (2021): The dance of becoming: Pedagogy in dance / movement therapy in the United States. American Journal of Dance Therapy 43 (2), 167-187, https: / / doi.org/ 10.1007/ s10465-021-09351-0 Ortuño-Ibarra, A., Rodríguez-Jiménez, R.-M. (2022): A proposal for emotional intelligence development through dance movement therapy, Body, Movement and Dance in Psychotherapy, https: / / doi.org/ 10.1080/ 17432979.20 22.2081256 Salovey, P., Mayer, J. D. (1990): Emotional intelligence. Imagination, Cognition and Personality 9 (3), 185-118, https: / / doi.org/ 10.2190/ DUGG- P24E-52WK-6CDG Dr. Iris Bräuninger Senior Researcher & Co-Leiterin Studiengang Psychomotoriktherapie (Hochschule für Heilpädagogik Zürich IVE), Dozentin MA Tanztherapie UAB Barcelona, BTD-Supervisorin / Ausbilderin / Lehrtherapeutin, KMP-Notatorin, Praxis Tanztherapie Supervision Bodensee. ✉ Dr. Iris Bräuninger dancetherapy@mac.com oder iris.braeuninger@hfh.ch Vulcan, M., Shuper Engelhard, E. (2022): Open studio in dance movement therapy: application and enhancement. Body, Movement and Dance in Psychotherapy 1-16, https: / / doi.org/ 10.1080/ 17432979.2022.2122564