körper tanz bewegung
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Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/ktb2023.art15d
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Forum: Konsensuelle Nicht-Monogamie
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Stefanie Kleinhäntz
Abseits der monogamen Norm gibt es eine Vielzahl an Möglichkeiten, Beziehungen konsensuell, d. h. im Einvernehmen aller Beteiligten, nicht-monogam zu gestalten. Beispiele hierfür sind Offene Beziehung, Polyamorie oder Swinging. Im therapeutischen Kontext kommen Tanz- und BewegungstherapeutInnen sowie KörperpsychotherapeutInnen potentiell mit Menschen in Kontakt, die konsensuelle Nicht-Monogamie praktizieren. Diskriminierungen auf unterschiedlichen Ebenen stehen jedoch einer tragfähigen therapeutischen Beziehung im Weg. Diese können durch eine bewusste Gestaltung des Therapiesettings und eine aufgeschlossene Haltung minimiert werden, um eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zu ermöglichen.
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Forum: Aus der Praxis 107 körper-- tanz-- bewegung 11. Jg., S. 107-113 (2023) DOI 10.2378/ ktb2023.art15d © Ernst Reinhardt Verlag Konsensuelle Nicht-Monogamie Tanztherapie mit Menschen in nicht-monogamen Beziehungen Stefanie Kleinhäntz Abseits der monogamen Norm gibt es eine Vielzahl an Möglichkeiten, Beziehungen konsensuell, d. h. im Einvernehmen aller Beteiligten, nichtmonogam zu gestalten. Beispiele hierfür sind Offene Beziehung, Polyamorie oder Swinging. Im therapeutischen Kontext kommen Tanz- und BewegungstherapeutInnen sowie KörperpsychotherapeutInnen potentiell mit Menschen in Kontakt, die konsensuelle Nicht-Monogamie praktizieren. Diskriminierungen auf unterschiedlichen Ebenen stehen jedoch einer tragfähigen therapeutischen Beziehung im Weg. Diese können durch eine bewusste Gestaltung des Therapiesettings und eine aufgeschlossene Haltung minimiert werden, um eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zu ermöglichen. Schlüsselbegriffe konsensuelle Nicht- Monogamie, Diversität, Diskriminierung, Antidiskriminierung, Persönliche Haltung Consensual Non-Monogamy. Encounters and Therapy with People in Non-Monogamous Relationships Outside the monogamous norm, there are a variety of options to live non-monogamous relationships in a consensual way, i. e. by agreement of all parties involved. Examples are open relationships, polyamory or swinging. In the therapeutic context, dance / movement therapists as well as body psychotherapists may come into contact with people who practice consensual non-monogamy. However, discriminations on different levels stand in the way of a sustainable therapeutic relationship. These can be minimized by a conscious design of the therapy setting and an open-minded attitude to enable a trusting collaboration. Key words consensual non-monogamy, diversity, discrimination, antidiscrimination, stance E ine bessere Hälfte zu finden, sich treu zu sein, als Mann und Frau glücklich bis ans Lebensende miteinander verbunden zu sein, gilt in westlich-orientierten, christlich geprägten Gesellschaften oft als großes (Lebens-)- Ziel, wie Conley et al. (2012) zusammenfassen. Die Heteronormativität dieser Vorstellung weicht schon seit Längerem auf, so ist die Ehe für alle in Deutschland seit 2017 legal. Auch immer mehr Menschen stehen offen zu anderen Lebens- und Beziehungsentwürfen, wie z. B. Offene Beziehung, Polyamorie oder Beziehungsanarchie (siehe Tab. 1). Mit der Entscheidung, dies nicht zu verheimlichen, sind sie jedoch potenziell Stigmatisierung, Diskriminierung und Abwertung ausgesetzt (Cardoso et al. 2021; Cassidy / Wong 2018; Conley et al. 2012; Henrich / Trawinski 2016; Moors et al. 2021b; Vaughan et al. 2019). Warum Menschen in konsensuell nicht-monogamen Beziehungen pro- 108 3 | 2023 Stefanie Kleinhäntz fessionelle Hilfe in der Tanz- und Bewegungstherapie suchen, kann unterschiedliche Gründe haben und muss nichts mit der Beziehungsform zu tun haben. Aufgeschlossenheit und Bewusstsein gegenüber nicht-traditionellen Beziehungsformen sind allerdings grundlegend für eine bestmögliche Unterstützung und vertrauensvolle therapeutische Beziehung (Graham 2014; Henrich / Trawinski 2016; Vaughan et al. 2019). In diesem Artikel werden die Grundgedanken konsensuell nicht-monogamer Beziehungen erläutert. Es folgen Überlegungen zu einer möglichst offenen und diskriminierungsfreien Gestaltung des Therapiesettings. Anschließend werden Forschungserkenntnisse zu möglichen Themen im Kontakt mit konsensuell nichtmonogamen KlientInnen präsentiert. Was ist konsensuelle Nicht-Monogamie? Unter dem Überbegriff „konsensuelle Nicht-Monogamie“ (consensual non-monogamy, CNM) werden unterschiedliche Beziehungsformen zusammengefasst. Vereinend ist, dass sie sich außerhalb der monogamen Norm bewegen und dies im Einvernehmen aller Beteiligten geschieht. Die konkreten Beziehungsführungen können demnach sehr unterschiedlich gestaltet sein. Themen wie Treue, Eifersucht, persönliche Grenzen und Kommunikation werden (mitunter immer wieder neu) diskutiert und individuelle Regeln verhandelt. Der Fokus liegt oftmals in der Gestaltung interpersoneller Beziehungen im Hinblick auf Intimität, Zuneigung und Freiheit (Cardoso et al. 2021). Konsensuell nicht-monogame Beziehungen können in sich offen oder geschlossen sein, sexuelle und / oder romantische Begegnungen involvieren, hierarchisch oder egalitär gestaltet werden und fließend ineinander übergehen (Flicker et al. 2021; Hardy / Easton 2017; Veaux 2017). So kann eine offene Beziehung sexuelle Kontakte zu anderen bei räumlicher Trennung, etwa während eines Urlaubs, ermöglichen. Bei einer anderen offenen Beziehung gibt es vielleicht neben der Hauptbeziehung einen regelmäßigen sexuellen Kontakt mit einer anderen Person. Eine (unvollständige) Übersicht über mögliche Beziehungskonstrukte ist in Tab. 1 dargestellt. Die Auffassung und Definition unterschiedlicher konsensuell nicht-monogamer Beziehungsformen kann durchaus variieren und von den hier angeführten Beschreibungen abweichen. Konsensuelle Nicht-Monogamie hinterfragt in ihren Grundgedanken tradierte Annahmen und Verknüpfungen (Hardy / Easton 2017). So wird sexuelle Exklusivität nicht automatisch mit Treue verbunden und stellt bei nicht-monogamen Beziehungsformen, die mehrere körperliche Verbindungen ermöglichen, keine Bedingung für eine verbindliche PartnerInnenschaft dar. Stehen mehr emotionale Verbindungen im Vordergrund, wie es z. B. bei polyamoren Beziehungen der Fall ist, liegt zumeist die Auffassung zugrunde, dass romantische Liebe kein endliches oder gar knappes Gut ist, welches nur für eine Person zur Verfügung steht. Romantische Liebe kann für mehrere Personen gleichzeitig empfunden werden. Im Gegensatz zu der Einstellung, dass man durch eine bessere Hälfte in allen möglichen Bereichen komplementiert wird, steht schließlich noch der Gedanke, dass nicht ein/ e PartnerIn alle Bedürfnisse zu allen Zeiten erfüllen kann und muss. All dies muss jedoch nicht im Widerspruch zu langfristigen und vertrauensvollen Partnerschaften stehen. Obwohl von monogamen Menschen oft mit dem Stigma der Unverbindlichkeit versehen, sind Stabilität und Seriosität auch in konsensuell nicht-monogamen Beziehungen erwünscht und gelebt (Cardoso et al. 2021). Konsensuell nicht-monogame Beziehungen können in ihren Motivationen also variieren und bieten Möglichkeiten für unterschiedliche Bedürfnisse, sexuelle Orientierungen und Geschlechtsidentitäten. Dementsprechend kann konsensuelle Nicht-Monogamie auch aus un- 109 3 | 2023 Tanztherapie mit Menschen in nicht-monogamen Beziehungen terschiedlichen Perspektiven betrachtet und eingeordnet werden. Durch die Opposition zu normativen Beziehungs- und Liebeskonzepten liegt eine Einbettung in einen queertheoretischen Diskurs nahe. Während das Heraustreten aus vorgefertigten monogamen Wegen einem politischen Akt entsprechen kann (Carlström / Andersson 2019), betont Wilkinson (2010), dass eine polyamore Praxis nur dann politisch ist, wenn dabei die kritische Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Normen bewusst erhalten bleibt und in den Beziehungs- und Fürsorgeentwürfen bedacht wird. Konservative Beziehungseinstellungen, vor allem in geschlossenen Dreier- oder Mehrfachbeziehungen, sieht Wilkinson (2010) mitunter als problematisch an, da sie-- vergleichbar mit der Ehe von homosexuellen Paaren-- Teilhabe und Anerkennung nur in einem an sich ungerechten und privilegierten System fordert. Zur Vertiefung siehe hierzu auch Barker und Langdridge (2010). Als abschließende Betrachtung zum Begriff „konsensuelle Nicht-Monogamie“ soll an dieser Stelle noch erwähnt werden, dass die vorangestellten Adjektive „konsensuell“ oder „ethisch“ mitunter eine moralische Vormachtstellung der Monogamie verfestigen, da diese sprachlich ohne diese explizite Beschreibung auskommt (Travers 2021). Die Definition über das Nicht- Sein der Monogamie birgt außerdem ein konzeptuelles Problem, da es Monogamie als Standard im Zentrum der Aufmerksamkeit hält (Cardoso et al. 2021). Um in dieser Einführung in die Thematik ein Bewusstsein für die einvernehmliche Beziehungsgestaltung zu schaffen und die Beziehungsformen klar von Betrug abzugrenzen, wird in diesem Artikel dennoch die Bezeichnung „konsensuelle Nicht-Monogamie“ verwendet. Offene Beziehung In offenen Beziehungen gibt es häufig eine feste Partnerschaft, zu der zusätzlich noch weitere Kontakte bestehen. Diese sind zumeist lose und sexuell. Polyamorie Bei Polyamorie werden häufig zwei Arten unterschieden. Erstens kann eine polyamoröse Beziehung zwischen drei oder mehr Menschen bestehen, die gemeinsam eine Beziehung führen. Zweitens kann eine Person zu zwei oder mehreren eine Liebesbeziehung führen, die untereinander jedoch nicht verbunden sind. Oft gibt es hierbei eine primäre Beziehung, es können aber auch alle denselben Stellenwert haben. Swingen Beim Swingen haben meist monogam orientierte Paare gemeinsam sexuelle Kontakte mit anderen. Solopoly Solopoly steht für Menschen, die nicht in einer expliziten Beziehung sind, also „solo“ oder „Single“. (Neue) Kontakte werden dabei hinsichtlich konsensuell nicht-monogamer Prinzipien ausgewählt, und diese werden transparent kommuniziert. Beziehungsanarchie Beziehungsanarchie bedeutet, die Beziehungsgestaltung hinsichtlich freundschaftlicher, sexueller und romantischer Aspekte mit jeder Person individuell auszuhandeln und nicht auf vorgegebene Schubladen zurückzugreifen. Des Weiteren werden bei Beziehungsanarchie Hierarchien unter Beziehungen abgelehnt. Tab. 1: Konsensuell nicht-monogame Beziehungsformen (Hardy / Easton 2017; Veaux 2017) 110 3 | 2023 Stefanie Kleinhäntz Konsensuelle Nicht-Monogamie in der Therapie Die Erfahrung konsensuell nicht-monogamer Menschen im Bereich Therapie und Gesundheitsdienstleistungen wurden bereits von mehreren AutorInnen untersucht. Die Forschungsergebnisse zeigen vermehrt negative Erlebnisse der Betroffenen. Menschen in konsensuell nicht-monogamen Beziehungen werden nicht nur im Alltag mit Abwertungen konfrontiert, sondern erleben diese auch im Mikrokosmos Therapie (Cassidy / Wong 2018; Chatara-Middleton 2012; Henrich / Trawinski 2016; Vaughan et al. 2019). Unterschiedliche Diskriminierungsebenen Institutionelle Diskriminierung findet statt, wenn bei juristischen Fragen und institutionellen Angaben neben dem Paarmodell keine Alternativen gegeben sind. Dies bezieht sich z. B. auf eine rechtliche Benachteiligung im Hinblick auf Elternschaft und Ehe und kann für Betroffene eine Konfrontation mit der eigenen Abweichung von der Norm bedeuten (Cardoso et al. 2021). Diskriminierung auf interaktioneller Ebene erfahren Menschen in konsensuell nicht-monogamen Beziehungen unter anderem im Therapiesetting, wenn ihre Beziehungsformen pathologisiert werden und sie verbale oder nonverbale Ablehnung erfahren. Auch ein mangelndes Bewusstsein der TherapeutInnen und normative Vorannahmen über den Beziehungsstatus können hierzu gezählt werden (Vaughan et al. 2019). Konsensuelle Nicht-Monogamie wird in einer monogamen Welt gelebt, die auch die betroffenen Menschen prägt. Wertvorstellungen anderer und erfahrene Diskriminierung können von Individuen internalisiert und gegen sich selbst gerichtet werden; sie äußern sich als Selbststigmatisierung (Moors et al. 2021b). Positive Eigenschaften werden gesellschaftlich eher monogamen Beziehungen zugeschrieben, nicht-monogame, auch wenn diese konsensuell gestaltet werden, gelten als weniger wert. Diese negative Bewertung findet sich auch unter Menschen, die selbst eine konsensuell nicht-monogame Beziehung führen (Conley et al. 2012). Diese Situation wird von Chatara-Middleton (2012) auch auf körperlicher Ebene beschrieben: Physische und emotionale Wünsche werden physisch als Möglichkeiten gefühlt, stehen jedoch im Widerspruch zu erlernten Normen und sozialen Konstrukten. Dies könne zu Schuld- und Schamgefühlen führen. Therapeutisches Setting im Kontext von Anti-Diskriminierung Um eine offene Atmosphäre in der Therapie zu schaffen, gilt es, das organisatorische Setting nach gängigen Normen zu hinterfragen und gegebenenfalls anzupassen. Zur dementsprechenden Gestaltung der Rahmenbedingungen haben Cassidy und Wong (2018) Empfehlungen aus unterschiedlichen Bereichen zusammengefasst. Sie regen an, dass Werbung, Informationen und Fragebögen eine Auswahl an Beziehungsformen anbieten und nicht von einer monogamen Norm ausgehen. In der Therapie solle außerdem die Möglichkeit geschaffen werden, einen konsensuell nicht-monogamen Beziehungsstil ohne unangenehme Exposition zu erwähnen. Dieser solle weiterführend genau identifiziert werden. Grenzen oder Hierarchien innerhalb des Beziehungssystems sollen für den / die TherapeutIn verständlich sein, um sie in der Therapie bei Bedarf zu beachten. Auf der einen Seite gibt es TherapeutInnen, die sich auf ein konsensuell nicht-monogames Klientel spezialisiert haben, dies in ihrem Außenauftritt kommunizieren und so von Interessierten mittels einfacher Recherche gefunden werden können. Auf Websites wie Queermed Deutschland und Queermed Österreich werden andererseits GesundheitsdienstleisterInnen gesammelt, die nicht zwingend auf diese Themen spezialisiert sind, jedoch von Patient- 111 3 | 2023 Tanztherapie mit Menschen in nicht-monogamen Beziehungen Innen diesbezüglich als aufgeschlossen erlebt werden. Vorrangig geht es hier um queerfreundliche AnbieterInnen, aber auch die gezielte Suche nach polyamor-sensiblen Mediziner- Innen und TherapeutInnen ist möglich. Solche Websites zeigen, wie groß das Bedürfnis in diskriminierten Gruppen nach wohlwollenden Therapieräumen ist. Diese Räume können durch TherapeutInnen auch ohne Spezialisierung erweitert werden, da es im Therapiealltag für PatientInnen oftmals schon hilfreich ist, im direkten Gespräch signalisiert zu bekommen, dass man gegenüber konsensuell nicht-monogamen Beziehungsformen aufgeschlossen ist und diese Platz haben dürfen. Eigene Haltung „Tanztherapeut: innen bemühen sich um einen wertschätzenden Umgang mit Patient: innen / Klient: innen und respektieren dabei die körperliche, kulturelle, spirituelle, religiöse Vielfalt sowie die politischen und jedwede sexuellen Orientierungen von Patient: innen / Klient: innen“ (BTD, 2023, S. 1). Um den ethischen Richtlinien gerecht zu werden, wie sie z. B. der Berufsverband der TanztherapeutInnen Deutschlands (BTD) vorschlägt, gilt es schließlich, sich der eigenen Haltung und Einstellung gegenüber konsensueller Nicht-Monogamie bewusst zu werden sowie Übertragung und Gegenübertragung zu reflektieren. Geprägt vom vorherrschenden mononormativen Bias können bei TherapeutInnen in der Begegnung mit konsensuell nicht-monogamen KlientInnen z. B. Ablehnung und Abwertung des fremden Beziehungsstils hochkommen. Auch eine Pathologisierung der Beziehungsform und das bewusste oder unbewusste Hinarbeiten Richtung Monogamie kann auftreten. Eigene Erfahrung mit Untreue und Eifersucht können dies begünstigen (Henrich / Trawinski 2016). Die eigene soziale Prägung und auch tradierte Modelle (z. B. bezüglich Bindungsverhalten, Lebensziele, psychodynamischer Konflikte) sollten kritisch hinterfragt und (bei Bedarf unter Supervision) erforscht werden (Cassidy / Wong 2018; Chatara-Middleton 2012; Henrich / Trawinski 2016). Mögliche Themen in der Therapie Im Folgenden werden mögliche Themen angeführt, die in Tanz- oder Körperpsychotherapie relevant werden können. Dies stellt natürlich eine unvollständige Auflistung dar; die Themen können sich nicht nur individuell unterscheiden, sondern vermutlich auch in ihrer Gewichtung bei unterschiedlichen Beziehungsformen. Der aktuelle Forschungsstand differenziert jedoch oftmals wenig innerhalb der konsensuell nicht-monogamen Beziehungsformen. Chatara-Middleton (2012) erforschte die Erfahrungen von Tanz- und BewegungstherapeutInnen mit nicht-monogamen Menschen. Mögliche relevante Themen sind laut ihrer Erhebung unter anderem Eifersucht, negative Vorannahmen, Schuld und Scham, Versagen, Wertvorstellungen, Kommunikation, Grenzen, Betrug, Compersion (Mitfreude), Coming Out und Entscheidungsfindung (in Bezug auf die passende Beziehungsform). Compersion Mogilski et al. (2019) halten fest, dass für Compersion, auf Deutsch Mitgefühl, keine einheitliche Definition in der Fachliteratur vorliegt. Es sei ein Gefühl von Wärme, Freude oder Zufriedenheit, das im Gegensatz zu Eifersucht auftritt, wenn man um die sexuellen und / oder romantischen Begegnungen eines Partners / einer Partnerin weiß- - vergleichbar mit dem Mitfreuen bei besonders positiven Ereignissen wie dem Bestehen einer Prüfung. Kommunikation, Abgrenzung und Entscheidungen können als Beziehungsthemen zusammengefasst werden, die auch außerhalb des konsensuell nicht-monogamen Kontextes eine Rolle spielen. Interventionen, welche die bewusste Beziehungsgestaltung und das In-Kontakt-Treten mit sich selbst und dem Gegenüber anregen, können hierbei förderlich sein. 112 3 | 2023 Stefanie Kleinhäntz Die Diskrepanz zwischen (internalisierter) Diskriminierung bzw. kognitiver Bewertung und dem körperlichen Erleben, dass Gefühle und Sexualität mit mehreren Menschen möglich ist, wurde bereits weiter oben genannt. Die interviewten TherapeutInnen bei Chatara-Middleton (2012) begegnen diesem Spannungsfeld, in dem vor allem die Gefühle Scham, Schuld und Versagen auftreten, mit der Exploration dieser Gefühle im Körper, dem körperlichen Ausdruck und Techniken der Externalisation, z. B. über kreative Medien. Outing und damit verbundene (negative) Erfahrungen werden z. B. mit „Heraustreten vom vorgegebenen Weg“ und „gestoppt werden“ beschrieben und laden zu einer räumlichen Exploration und der Gestaltung eines eigenen Weges ein (Carlström / Andersson 2019). Eifersucht spielt auch in konsensuell nichtmonogamen Beziehungen eine Rolle. Meist ist den Betroffenen bereits bewusst, dass dies ein Signal für unerfüllte Wünsche, z. B. nach Sicherheit, Nähe, gemeinsamer Zeit, sein kann (Hardy / Easton 2017). Hier wird ein achtsames Wahrnehmen von Empfindungen und Körpersignalen wichtig und eine Exploration der dahinterliegenden Bedürfnisse. Chatara-Middleton (2012) betont die Auseinandersetzung mit der Atmung und die Erarbeitung eines tiefen, zentrierten Atemflusses, um dieses Gefühl zu- und loszulassen. Zusätzlich zu Compersion verbinden Menschen in konsensuell nicht-monogamen Beziehungen außerdem noch Freiheit, Offenheit, Nähe und Verbundenheit, Entwicklung sowie Selbstbestimmung mit ihrem Beziehungsstil (Kleinhäntz 2022). Die kreative und tänzerische Auseinandersetzung und Expression mit der eigenen Beziehungsform kann positive Assoziationen sichtbar und verbalisierbar machen. So können die Sicherheit der KlientInnen in ihren Beziehungsentscheidungen und ihr Selbstverständnis bestärkt werden. Klassische tanztherapeutische Methoden passen demnach durchaus für ein konsensuell nicht-monogames Klientel, sofern sie auf deren Bedürfnisse abgestimmt und sensibel angewandt werden (Chatara-Middleton 2012). Nicht alle Menschen in konsensuell nicht-monogamen Beziehungen erwarten sich eine / n vollständig in diesem Bereich informierte / n TherapeutIn, durchaus aber Wohlwollen und Akzeptanz (Kleinhäntz 2022). Schlussbetrachtung Eine selbstbestimmte und authentische Beziehungsgestaltung, die mehrere Menschen involviert, birgt die Chance auf eine befriedigende Lebensgestaltung. In einer mononormativ geprägten Welt stehen dem jedoch Diskriminierung und Stigmatisierung gegenüber. Nicht nur eine akademische, forschungsorientierte Behandlung des Themas „konsensuelle Nicht- Monogamie“, sondern auch eine alltägliche Auseinandersetzung sind notwendig, um vorherrschende Moral- und Beziehungsvorstellungen aufzubrechen. Konsensuell nicht-monogame Beziehungsführung kann in der Tanz- und Bewegungstherapie bzw. Körperpsychotherapie expliziter Inhalt oder nur ein soziodemografisches Merkmal der PatientInnen / KlientInnen sein. Die Hinterfragung eigener sozialer Prägungen und übernommener Werte kann helfen, einen neutraleren Standpunkt einzunehmen und eine reflektierte Betrachtung und wertschätzende Begegnung in der Therapie zu ermöglichen. Weitere Empfehlungen für Therapie und Forschung bietet das „Consensual Non-Monogamy Fact Sheet“ der APA Div. 44: Society for the Psychology of Sexual Orientation and Gender Diversity (Moors et al. 2021a). Literatur Barker, M., Langdridge, D. (2010): Understanding non-monogamies. 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In: www.blog.franklinveaux. com/ 2017/ 12/ an-update-to-the-map-of-nonmonogamy/ , 31.1.2023 Wilkinson, E. (2010): What’s queer about non-monogamy now? In: Barker, M. J., Langdridge, D. (Hrsg.): Understanding non-monogamies. Routledge, New York, 243-254 Stefanie Kleinhäntz Tanztherapeutin, Physiotherapeutin, ADTV-Tanzlehrerin. Dzt. Bewegungstherapeutin am Universitätsklinikum Heidelberg, Allgemeine Psychiatrie. ✉ Stefanie Kleinhäntz stefanie.kleinhaentz@outlook.com
