eJournals körper tanz bewegung 11/3

körper tanz bewegung
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2195-4909
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/ktb2023.art18d
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Aktuelle RCT-Studien zu Online-Tanzbewegungstherapie mit traumati­sierten Kindern und Erwachsenen und mit SchlaganfallpatientInnen

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Iris Bräuninger
Vorgestellt werden drei RCTs zu Online-Tanzbewegungstherapie mit traumatisierten Kindern und Erwachsenen und mit SchlaganfallpatientInnen. Die Ergebnisse werden in Hinblick auf das Potential von Online-TT und methodische Konsequenzen für zukünftige Studien reflektiert.
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Aktuelles aus der Forschung 129 körper-- tanz-- bewegung 11. Jg., S. 129-131 (2023) DOI 10.2378/ ktb2023.art18d © Ernst Reinhardt Verlag Aktuelle RCT-Studien zu Online-Tanzbewegungstherapie mit traumatisierten Kindern und Erwachsenen und mit SchlaganfallpatientInnen Iris Bräuninger V orgestellt werden drei RCTs zu Online-Tanzbewegungstherapie mit traumatisierten Kindern und Erwachsenen und mit SchlaganfallpatientInnen. Die Ergebnisse werden in Hinblick auf das Potential von Online-TT und methodische Konsequenzen für zukünftige Studien reflektiert. Online-Tanz- und Kunsttherapie für Schulkinder mit PTSD nach Entführungserfahrung Der RCT mit quasi-experimentellem Design verglich die Wirksamkeit von interaktiven medienbasierten Interventionen (Tanztherapie TT, Kunsttherapie KT) gegenüber einer Kontrollgruppe KG (ohne Intervention) in Bezug auf die PTSD-Symptomverringerung bei Schulkindern in Nigeria (N = 470, 10-18 Jahre) (Ezeh et al. 2023). Unter medienbasierten Interventionen werden „alle Typen computer-assistierter elektronischer Systeme, welche verschiedene Media-Eigenschaften wie Text, Audio, Video, Animationen, Illustrationen und Graphiken verbinden“ verstanden (Ezeh et al. 2023, 35, Übersetzung durch die Autorin). Die Kinder wurden in Schulen rekrutiert und hatten drei Monate vor der Studie jeweils eine Entführung erlebt mit mehr als 24 h in Gefangenschaft. In die KG wurden 236 Kinder (52 % männlich), in die beiden Interventionsgruppen wurden je 117 Kinder (57 % männlich) randomisiert, welche 20 medienbasierte Gruppentherapiestunden erhielten (zweimal wöchentlich à 2 h über 10 Wochen). Die PTSD-Selbsteinschätzung anhand eines standardisierten Fragenbogens (12-Items, 5-Punkte-Likert-Skala) (Cloitre et al. 2018) wurde zu drei Erhebungszeitpunkten im Prä-Test, Post-Test und im 6-monatigen Follow- Up-Test erhoben. Ziel der TT war die Förderung von spielerischen Aktivitäten, emotionaler Kontrolle, Hoffnung, Entspannung, Verbesserung des Selbstbewusstseins und Erlernen von Body Check und Erdung. Ziel der KT war die Förderung von emotionalem Ausdruck, emotionaler Kontrolle, Problemlösestrategien und Erleben von Spaß sowie Reduktion von Stress. Beim Prä-Test bestand zwischen den Gruppen kein Unterschied, der Post-Test zeigte in der Selbsteinschätzung der Interventionsgruppen eine signifikante Reduktion der PTSD-Symptomatik (p = 0.03; ηp 2 = 0.45) im Vergleich zur KG. Der Follow-Up-Test nach sechs Monaten ergab ferner einen Unterschied der Standardwerte bei allen Gruppen (F(2,402) = 7.2, p = 0.03) und bessere Wert in der TT-Gruppe gegenüber der KT-Gruppe. 130 3 | 2023 Iris Bräuninger Online-Gruppen-Tanzbewegungstherapie für Überlebende von Gewalt in der Partnerschaft Der RCT von Özümerzifon und Kolleginnen (2022) überprüfte die Wirksamkeit von 12 virtuellen TT-Gruppenworkshops auf die psychische Gesundheit und PTBS-Symptomatik von weiblichen Überlebenden von Gewalt in der Partnerschaft. Die Teilnehmerinnen aus New York (N = 45, Alter: 23 bis 48 Jahre) wurden über eine Hilfsorganisation rekrutiert. Aufgrund der Pandemie wurde das Angebot (2x wöchentlich à 90-minütiger Workshop „Move to Move Beyond (MTMB)“) kurzfristig online durchgeführt. Für den quantitativen Teil füllten die Teilnehmerinnen standardisierte Fragebögen zu PTSD (PCL-5) und psychischer Not (K6+ Distress Scale) im Prä-Test, Post-Test aus, zusätzlich wurde ihre Herzfrequenzvariabilität gemessen. In die TT-Gruppe wurden 25 Frauen, in die Kontrollgruppe 20 (Standardversorgung) randomisiert. Eine TT-Untergruppe wurde in einer halbstrukturierten Fokusgruppe nach ihren individuellen und gemeinsamen Erfahrungen befragt. Die durchschnittliche Teilnahme am Online-Gruppen-TT Angebot lag bei fünf Sitzungen (Interquartilsabstand 5,5) (38 % nahmen an weniger als fünf und 27 % an acht oder mehr Sitzungen teil). Die quantitativen Ergebnisse ergaben im Post-Test eine größere Verbesserung einiger Variablen in der Interventionsgruppe gegenüber der Kontrollgruppe, jedoch waren die Effekte moderat und nicht signifikant. Keine Veränderungen ergaben sich in der Herzfrequenzvariabilität. Die qualitativen Ergebnisse wiesen auf verbesserte Selbstfürsorge, Emotionen, Entspannungsfähigkeit und Gemeinschaft durch das MTMB hin. Online-Tanzbewegungstherapie für PatientInnen nach Schlaganfall Lee und KollegInnen (2022) verglichen die Wirksamkeit von Tanzbewegungstherapie mit konventioneller Physiotherapie auf die Kontrolle des Rumpfs und des Gleichgewichts bei stationären Schlaganfall-PatientInnen in Korea. Die 17 Personen mit subakutem oder chronischem Schlaganfall wurden zufällig auf Interventionsgruppe (n = 9 mit 2 Dropouts; TT plus Physiotherapie) und aktive Kontrollgruppe (n = 8; nur Physiotherapie) verteilt. Einschlusskriterien waren Halbseitenlähmung, allein eine Sitzhaltung beibehalten, 10 Minuten selbstständig oder mit Hilfe eines Mindesthilfsmittels gehen, 40-minütige Teilnahme an Aktivität (Ausschlusskriterien: schwere kognitive, visuelle, auditive Beeinträchtigungen; Anomalien / Verletzungen des Bewegungsapparates unterer Extremität, andere neurologische Erkrankungen). Im Prä- Test, Post-Test wurde Rumpfkontrolle anhand der Trunk Impairment Scale (TIS-Scores) als primäres Ergebnis und Gleichgewichtskontrolle anhand der Berg-Balance-Skala, ADL, Timedup-and-go-Test und Lebensqualität als sekundäre Ergebnisse erhoben. Die 40-minütige Tanz- Intervention fand zweimal wöchentlich über drei Wochen statt und beinhaltete Warm-Up im Sitzen, Stuhlund/ oder Stehchoreographie und Tanzübungen in der Raummitte mit abschließender Verbeugung. Das primäre Ergebnis zeigte eine signifikante Verbesserung der TIS-Scores (p = 0,017) in der Interventionsgruppe gegenüber der Kontrollgruppe. Die sekundären Ergebnisse wiesen keine signifikanten Unterschiede zwischen den beiden Gruppen auf. 3 | 2023 131 Aktuelles aus der Forschung Schlussfolgerung und Ausblick Die drei Studien weisen auf die Möglichkeit hin, dass Online-Tanzbewegungstherapie effektiv sein kann. Der RCT von Ezeh et al. (2023) konnte bei durch Entführung traumatisierten Kindern eine deutliche Verbesserung von PTSD- Symptomen nachweisen. Interessant wäre, ob sich ähnliche Ergebnisse mit anderen bewegungsorientierten (auch nicht-therapeutischen) Interventionen einstellen würden. Die Studie von Lee und KollegInnen (2022) integrierte eine aktive Kontrollgruppe, allerdings könnten sich die positiven Primäreffekte aufgrund der geringen Teilnehmerzahl zufällig ergeben haben. Die Replikation der Studie mit einer größeren Teilnehmerzahl würde Klarheit schaffen. Obwohl die Studie von Özümerzifon und Kollegen (2022) von Überlebenden von Gewalt in Paarbeziehungen keine signifikante Verbesserung der psychischen Gesundheit und des Wohlbefindens in der Interventionsgruppe im Vergleich zur Kontrollgruppe feststellte, sollte berücksichtigt werden, dass die Teilnehmerinnen im Durchschnitt nur an 5 und fast 40 % an weniger als fünf Workshops teilnahmen. Zukünftige Studien könnten untersuchen, ob Präsenz-TT das Kommittent verändern (positiv versus negativ) und / oder ob das Ergebnis verbessert werden könnte, indem > 12 Workshops angeboten werden. Die Ergebnisse dieser Studien sind insofern relevant, als gefährdete KlientInnen auch in Krisenzeiten durch Online-TT unterstützt werden können. Dies eröffnet in Zeiten von Pandemien, Krieg, Einwanderung und (persönlichen) Krisen wichtige Optionen für alternative Settings. Literatur Cloitre, M., Shevlin, M., Brewin, C. R., Bisson, J. I., Roberts, N. P., Maercker, A., Karatzias, T., Hyland, P. (2018): The international trauma questionnaire (ITQ): Development of a self-report measure of ICD-11 PTSD and complex PTSD. Acta Psychiatrica Scandinavica 138, 536-546, https: / / doi.org/ 10.1111/ acps.12956 Ezeh, N. E., Iyendo, T. O., Ugwu, A. C., Agujiobi- Odoh, N., Okwuowulu, C., Ugwu, J. I., Gever, V. C. (2023): Interactive media-based dance and art therapies as interventions for treating posttraumatic symptoms among school children with abduction experience. Journal of Pediatric Nursing 70, 34-39, https: / / doi.org/ 10.1016/ j.pedn.2023.01.007 Lee, S. J., Lee, E. C., Kim, M., Ko, S. H., Huh, S., Choi, W., Shin, Y. I., Min, J. H. (2022): Feasibility of dance therapy using telerehabilitation on trunk control and balance training in patients with stroke: A pilot study. Medicine 101 (35), e30286, https: / / doi.org/ 10.1097/ MD.0000000000030286 Özümerzifon, Y., Ross, A., Brinza, T., Gibney, G., Garber, C. E. (2022): Exploring a dance / movement program on mental health and wellbeing in survivors of intimate partner violence during a pandemic. Frontiers in psychiatry 13, https: / / doi.org/ 10.3389/ fpsyt.2022.887827 Dr. Iris Bräuninger Senior Researcher & Co-Leiterin Studiengang Psychomotoriktherapie (Hochschule für Heilpädagogik Zürich IVE), Dozentin MA Tanztherapie UAB Barcelona, BTD-Supervisorin / Ausbilderin / Lehrtherapeutin, KMP-Notatorin, Praxis Tanztherapie Supervision Bodensee. ✉ Dr. Iris Bräuninger dancetherapy@mac.com oder iris.braeuninger@hfh.ch