körper tanz bewegung
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2195-4909
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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Aktueller RCT bei Langzeit-Schizophrenie sowie Studien zu Tanz und Tanztherapie bei Schizophrenie und neurologischen Störungen
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Iris Bräuninger
Dieser Beitrag widmet sich der Wirkung von Tanztherapie auf verminderte Knochenmasse und Balancefähigkeit bei Langzeit-Schizophrenie, der Wirksamkeit von Tanz (-therapie) auf Gleichgewichts- und Gangstörungen bei Schlaganfall und der Evidenz von Tanz auf motorische Symptome und Kognition bei Parkinson-Syndrom.
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38 körper-- tanz-- bewegung 12. Jg., S. 38-41 (2024) DOI 10.2378/ ktb2024.art07d © Ernst Reinhardt Verlag Aktuelles aus der Forschung Aktueller RCT bei Langzeit-Schizophrenie sowie Studien zu Tanz und Tanztherapie bei Schizophrenie und neurologischen Störungen Iris Bräuninger D ieser Beitrag widmet sich der Wirkung von Tanztherapie auf verminderte Knochenmasse und Balancefähigkeit bei Langzeit-Schizophrenie, der Wirksamkeit von Tanz (-therapie) auf Gleichgewichts- und Gangstörungen bei Schlaganfall und der Evidenz von Tanz auf motorische Symptome und Kognition bei Parkinson-Syndrom. Langzeit-Schizophrenie, verminderte Knochenmasse und Balancefähigkeit: Ein RCT zu Tanztherapie Guan und KollegInnen (2023) untersuchten im Rahmen eines verblindeten RCTs mit Prä-Post- Test-Design die Verbesserung der Knochenmineral-Dichte und Balancefähigkeit bei LangzeitpatientInnen mit Schizophrenie (SZ) (N = 58, männlich) in psychiatrischen Krankenhäusern. Stürze sind in dieser PatientInnengruppe häufige Unfallursache aufgrund verminderter Knochenmineral-Dichte (BMD) durch antipsychotische Medikation. Die Behandlungsgruppe (BG-TT) (n = 29, Alter 55.4 ± 3.6) erhielt zweimal pro Woche Tanzbewegungstherapie (TT) plus TAU über 12 Wochen (insgesamt 24 Lektionen) und folgte einem festgelegten Behandlungsprotokoll (Bryl/ Goodill 2019), die Kontrollgruppe (KT) (n = 29, Alter 55.3 ± 3.9) erhielt TAU. Einschlusskriterien waren (1) Schizophreniediagnose; (2) Männer (Alter 40-60) mit mind. 5-jähriger Erkrankung und mind. 3-jähriger Hospitalisation; (3) Sprachverständnis Mandarin- Chinesisch; (4) Einverständniserklärung (der gesetzlichen Vertreter); (5) stabile Antipsychotika-Einnahme > 2 Jahre; (6) verminderte Knochenmasse, Osteoporose und schwere Osteopenie nach Knochendichteanalyse; (7) keine schwerwiegende Komorbidität mit körperlicher Erkrankung / Beeinträchtigung; (8) Zustimmung Prä-Post-Interviews. Ausschlusskriterien waren (1) Substanzabhängigkeit oder -missbrauch; (2) Hyperkalzämie und Hyperurikämie; (3) Vorgeschichte von Nierensteinen oder Renal Calculi; (4) Verletzungen unterer Gliedmaßen und motorische Dysfunktion und Unfähigkeit, TT-Intervention auszuführen. Die Knochenmineral- Dichte (BMD) und Balancefähigkeit (Berg-Skala, statisches und dynamisches Gleichgewicht) wurden in beiden Gruppen in den Prä-Post- Tests erhoben, die GutachterInnen waren verblindet. In der Varianzanalyse mit Messwiederholungen (RM-ANOVA-Analyse) zeigten sich signifikante Verbesserungen 1) der BMD und 2) der Balancefähigkeit in der BG-TT im Vergleich zur KG: signifikante Interaktionseffekte mit Aktuelles aus der Forschung 1 | 2024 39 der Zeit-x-Gruppe bei BMD und Balancefähigkeit (Berg-Gesamtpunktzahl sowie beim statischen und dynamischen Gleichgewicht) mit allen Werten p < 0,05. Die AutorInnen schließen daraus, dass TT eine positive Regulierung der Knochenmineral-Dichte bewirken und die Balancefähigkeit von PatientInnen mit Schizophrenie verbessern kann. Schlaganfall, Gleichgewichts- und Gangstörungen: Ein Systematischer Review zu Tanztherapie Ares-Benitez und KollegInnen (2022) überprüften im Rahmen eines systematischen Reviews die Machbarkeit, Akzeptanz und Auswirkungen von Tanztherapie in der Schlaganfallrehabilitation, insbesondere auf funktionelle Fortschritte bei Gleichgewichts- und Gangstörungen. Eine systematische Datenbankrecherche wurde zwischen 2 / 2021 und 4 / 2021 in MEDLINE, PEDro, Web of Science, Scopus und CINHAL mit den Suchbegriffen „Dance Therapy“ (as MeSH terms) und „cerebrovascular accident“ und „Dance“ durchgeführt, englische und spanische Publikationen wurden berücksichtigt. Eingeschlossen wurden RCTs und Fallstudien, Fallserien und Fallkontrollen (aufgrund geringer RCTs) entsprechend den PICO-Fragen: (P) PatientInnen nach Schlaganfall mit Hemiparese, welche an TT teilnehmen konnten, um Körperfunktionen, -aktivitäten (Gleichgewicht und Gang) zu verbessern; (I) TT-Interventionen, welche koordinierte Bewegungen, Tanzmodalität oder -stil unter Einsatz von Musik nutzten; (C) Vergleich mit anderen Interventionen, Nichtintervention oder kein Vergleich; (O) Auswirkungen auf Einschränkungen der Körperfunktionen / -aktivitäten (Gleichgewicht und Gangart). Ausgeschlossen wurden qualitative, deskriptive oder nicht-objektive Bewertungen von Studienvariablen. In dem systematischen Review wurden von 62 identifizierten Studien acht eingeschlossen (2 klinische Fälle, 5 Fallserien und 1- RCT), sieben mit PatientInnen mit chronischem Schlaganfall und eine in subakuter Schlaganfallphase. Alle Studien wiesen ein niedriges Evidenzniveau, einen schlechten Empfehlungsgrad und ein geringes Maß an interner und externer Validität auf. Fünf von acht Studien berichteten über eine durchschnittliche Abbrecherquote von 18 %. Die Ergebnisse wiesen Tango und Ballett als die am häufigsten eingesetzten Tanzformen aus. Alle Tanzinterventionen integrierten Rhythmus, koordinierte Bewegungen, Gewichtsverlagerungen und Balanceübungen. Die durchschnittliche Therapiedauer betrug 6.75 Wochen (3 bis 11 Wochen), die Länge der Sessions variierte zwischen 30 und 110 Minuten (Einzel-, Paar- oder Gruppentherapie). Die AutorInnen identifizierten ähnlich positive Ergebnisse zu den untersuchten Variablen. Sie mutmaßten deshalb, Tanztherapie würde sich positiv auf die Körperfunktionen und Aktivitäten wie Gang und Gleichgewicht nach Schlaganfall auswirken, jedoch könnten aufgrund der Heterogenität und geringen Studienqualität keine eindeutigen Schlussfolgerungen zur Wirksamkeit von Tanztherapie auf Körperfunktionen und -aktivitäten nach Schlaganfall gezogen werden. Parkinson Syndrom, motorische Symptome und Kognition Der systematische Review mit Metaanalyse (Hasan et al. 2022) überprüfte die Wirkung von Tanz bei PatientInnen mit Parkinson-Syndrom (PD). Hierfür wurden RCTs bis 4 / 2020 in PubMed, Scopus, Web of Science und Cochrane gesucht, welche in Englisch publiziert waren. Anhand des Cochrane-Risk-of-Bias-Tool des Cochrane-Handbuchs für systematische Überprüfungen wurde die Qualität der eingeschlossenen Studien bewertet. Außerdem wurden die Domainen mit „geringes Risiko“, „hohes Risiko“ oder „unklar“ bewertet. Von 856 Treffern entsprachen 14 Studien (N = 372 Patient- 40 1 | 2024 Iris Bräuninger Innen) den Einschlusskriterien für die qualitative und quantitative Evidenzsynthese (eine davon mit TT): Neun Studien verglichen Tanz mit einer Kontrollgruppe ohne Intervention, vier Studien verglichen Tanz mit anderen Tanzarten, eine Studie verglich Tanz mit Nichttanzen und einer anderen Übungsart. Die Daten wurden im Review Manager 5.3 extrahiert und als mittlere Differenz (MD) mit 95 %-Konfidenzintervall (CI) zusammengefasst. Tanz zeigte signifikante Verbesserungen im Vergleich zur Kontrollgruppe hinsichtlich der Unified Parkinson’s Disease Rating Scale III (UPDRS III) nach drei Monaten (MD = − 4,49, 95 % CI [− 6,78, − 2,21], p = 0,00001), sechs Monaten (MD = − 5,96, 95 %-KI [− 8,89, − 3,02], p < 0,0001) und 12 Monaten (MD = − 14,58, 95 %-KI [− 24,76, − 4,4], p = 0,005) und hinsichtlich des Mini- BES Test nach 12 Monaten. Tanz im Vergleich zu Übungen zeigte eine signifikante Verbesserung im Timed Up and Go (TUG)-Test, im Berg Balance Scale (BBS) und im Mini-BES-Test. Die AutorInnen schlussfolgerten, dass Tanz im Vergleich zu anderen Bewegungsarten oder keiner Aktivität überlegen sei, um insbesondere motorische Symptome (Gleichgewicht, die funktionelle Mobilität), aber auch Kognition bei PatientInnen mit PD zu verbessern. Schlussfolgerung und Ausblick Die Ergebnisse von Guang und KollegInnen (2023) zur Verbesserung der Knochenmineral- Dichte und Balance nach einer nur 12-wöchigen TT-Intervention sind erfreulich und vielversprechend. Das Hauptergebnis, die signifikante Verbesserung der Knochenmineral-Dichte in der TT-Gruppe, verwundert nach lediglich 12-wöchiger TT-Intervention. Weitere Studien könnten diesen Effekt versuchen zu replizieren. Bei positiven Ergebnissen wären weitere Überlegungen interessant, zum Beispiel: Wirkt sich eine 12-wöchige Tanztherapie-Intervention nachhaltig auf die Knochenmineral-Dichte bei Personen mit Osteoporose aus? Den Vorschlägen von Ares-Benitez und KollegInnen (2022) schließe ich mich an: Weitere Studien zur Wirksamkeit der TT bei Schlaganfall mit einem hohen Maß an Evidenz und Machbarkeit sind erforderlich. Ares-Benitez und KollegInnen (2022) differenzierten in ihrer Ergebnisdarstellung nicht zwischen Tanz- (Tango, Ballett etc.) und Tanztherapie-Interventionen, obwohl lediglich eine der acht Studien TT-Interventionen beinhaltete. Diese Praxis sollte in zukünftigen Studien kritisch hinterfragt werden. Literatur Ares-Benitez, I., Billot, M., Rigoard, P., Cano-Bravo, F., David, R., Luque-Moreno, C. (2022): Feasibility, acceptability and effects of dance therapy in stroke patients: A systematic review. Complementary Therapies in Clinical Practice, 101662, https: / / doi.org/ 10.1016/ j.ctcp.2022.101662 Bryl, K., Goodill, S. (2019): Development, execution and acceptance of a manualized dance / movement therapy treatment protocol for the clinical trial in the treatment of negative symptoms and psychosocial functioning in schizophrenia. American Journal of Dance Therapy 42, 26, https: / / doi.org/ 10.1007/ s10465-019- 09312-8 Guan, H., Zhou, Z., Li, X., Pan, Y., Zou, Z., Meng, X., Guan, K., Zhang, L., Li, Z., Li, X., Wei, B., Zhang, X., Li, W., Han, D., Li, Z., Xiu, M. (2023): Dance / movement therapy for improving balance ability and bone mineral density in longterm patients with schizophrenia: a randomized controlled trial. Schizophrenia 9 (1), 47, https: / / doi.org/ 10.1038/ s41537-023-00373-w Hasan, S. M., Alshafie, S., Hasabo, E. A., Saleh, M. M., Elnaiem, W., Qasem, A., Alzu’bi, Y. O., Khaled, A., Zaazouee, M. S., Ragab, K. M., Nourelden, A. Z., Doheim, M. F. (2022): Efficacy of dance for Parkinson’s disease: a pooled analysis of 372 patients. Journal of neurology 269 (3), 1195-1208, https: / / doi.org/ 10.1007/ s00415-021-10589-4 1 | 2024 41 Aktuelles aus der Forschung Dr. Iris Bräuninger Senior Researcher (Hochschule für Heilpädagogik Zürich IVE), Dozentin MA Tanztherapie UAB Barcelona, BTD-Supervisorin / Ausbilderin / Lehrtherapeutin, KMP-Notatorin, Praxis Tanztherapie Supervision Bodensee. ✉ Dr. Iris Bräuninger dancetherapy@mac.com oder iris.braeuninger@hfh.ch
