eJournals körper tanz bewegung 12/2

körper tanz bewegung
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2195-4909
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2024
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Fachbeitrag: Die Kombination von Tango Argentino und Verhaltenstherapie in der Behandlung von Depressionen

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2024
Hans Gunia
Nach einem kurzen Literaturüberblick zu der Effektivität der Behandlung verschiedener Störungsbilder unterstützt mit Tango Argentino werden Ergebnisse einer explorativen Studie dargestellt. 29 Betroffene und 9 Angehörige nahmen an Tagesworkshops „Tango gegen Depression“ teil und füllten vor- und hinterher den BDI, den PANAS und die Angehörigen einmal die Family Burden Scale (BAS) aus. Die anhand des BDI gemessenen Parameter reduzierten sich sehr signifikant, bei den Betroffenen verbesserte sich der positive Affekt signifikant, der negative Affekt verringerte sich sogar sehr signifikant. Bei den Angehörigen wiesen die Veränderungen im Affekt in die gleiche Richtung, erreichten aber nicht das Signifikanzniveau.
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59 Fachbeitrag körper-- tanz-- bewegung 12. Jg., S. 59-66 (2024) DOI 10.2378/ ktb2024.art10d © Ernst Reinhardt Verlag Die Kombination von Tango Argentino und Verhaltenstherapie in der Behandlung von Depressionen Eine explorative Studie Hans Gunia Nach einem kurzen Literaturüberblick zu der Effektivität der Behandlung verschiedener Störungsbilder unterstützt mit Tango Argentino werden Ergebnisse einer explorativen Studie dargestellt. 29 Betroffene und 9-Angehörige nahmen an Tagesworkshops „Tango gegen Depression“ teil und füllten vor- und hinterher den BDI, den PANAS und die Angehörigen einmal die Family Burden Scale (BAS) aus. Die anhand des BDI gemessenen Parameter reduzierten sich sehr signifikant, bei den Betroffenen verbesserte sich der positive Affekt signifikant, der negative Affekt verringerte sich sogar sehr signifikant. Bei den Angehörigen wiesen die Veränderungen im Affekt in die gleiche Richtung, erreichten aber nicht das Signifikanzniveau. Schlüsselbegriffe Tango Argentino, Verhaltenstherapie, Training sozialer Kompetenz, Depression Tango Argentino in Behavioral Therapy. An Exploratory Study After a brief literature review on the efficacy of Tango Argentino treatment for different disorders, the results of an explorative study are presented. 29-patients and 9 relatives took part in one day workshops “Tango against depression” and filled out the BDI, the PANAS before and after the workshop. The relatives filled out the Family Burden Scale (BAS) once. The parameters measured by the BDI were reduced very significantly, the positive affect of the patients improved significantly, the negative affect even decreased very significantly. For the relatives, the changes in affect pointed in the same direction, but did not reach the significance level. Key words Tango Argentino, behavioral therapy, social competence training, depression I n letzter Zeit werden körperbezogene Ansätze auch in der Verhaltenstherapie intensiver diskutiert und nachgefragt (Langlotz- Weis 2020; Brokuslaus et al. 2021). Auch mir erscheint dies wichtig. Mittlerweile gibt es aber erfreulicherweise ein zunehmendes Angebot an verhaltenstherapeutisch fundierter Körper- und Tanztherapie (Langlotz-Weis 2020; Brokuslaus et al. 2021; Gunia / Quiroga Murcia 2017). Der argentinische Tango erscheint mir aus vielen Gründen für eine Integration in die Verhaltenstherapie geeignet. Er stellt als Tanz für viele Paare per se eine positive Aktivität dar 60 2 | 2024 Hans Gunia (was nicht selten für sich allein schon antidepressiv wirkt). Da der Tango Argentino oft für beide Partner neu und unbekannt ist, haben die „gesunden“ Partner keine Vorteile beim Erlernen der Schritte, was den „kranken“‘ Partnern ermöglicht, gesunde Anteile zu entdecken und den Gesunden, zumindest was das Tanzen angeht, ebenbürtig zu sein. Von der Krankheit nicht beeinträchtigte persönliche Stärken, Vorlieben und Verhaltensweisen können entdeckt und gezeigt werden. Depressive Partner sind nicht unbedingt ungeschickter als ihre gesunden Partner und lernen Schritte nicht schlechter als ihre gesunden Partner. Sie haben dadurch eine Chance, aus der „Krankenrolle“ herauszukommen, und werden als vollwertige Partner wahrgenommen. So konnten wir z. B. in mehreren Workshops sehen, dass depressive Partner die Schritte schneller lernten und ihre „gesunden“ Partner z. B. beim Führen von Schritten unterstützen konnten. Tango Argentino enthält viele Elemente von Achtsamkeit. Tango setzt ein achtsames Hören von Musik und ein achtsames Wahrnehmen von Raum und Körper voraus. Tango Argentino zu tanzen, hilft u. a. durch die Konzentration auf das Laufen in Umarmung und das gemeinsame Erleben, sich selbst und das Gegenüber achtsam wahrzunehmen, sich auf den Augenblick zu konzentrieren und neue körperliche Erfahrungen zu machen (Trasselli et al. 2022, 229). Dadurch ergibt sich die Chance, Lebensqualität, Lebensfreude und Achtsamkeit in der Beziehung zu mehren. Außer Achtsamkeit fördert Tango die Wahrnehmung und den Ausdruck des Körpers, die Bewegung, Dynamik, Geschwindigkeit, Gefühl und Kommunikation zwischen den Partnern. Wir betrachten den Tango Argentino auch als Kulturtechnik, die in einer bestimmten Epoche in Argentinien und Uruguay entstanden ist und der interpersonalen Kommunikation, dem Kennenlernen von potentiellen PartnerInnen und dem gesellschaftlichen Miteinander dienlich ist. Durch empirische Studien wissen wir, dass Tanzen generell positive Wirkungen auf verschiedene emotionale und körperliche Beschwerden hat (Koh et al. 2018). Koch et al. (2007) und Pinniger et al. (2012) konnten positive Wirkungen auf Depressionen nachweisen; Hackney et al. (2007) und fanden positive Effekte des Tanzens bei PatientInnen mit Parkinson; Mannheim und Weis (2005) und Axelerad et al. (2022) konnten positive Resultate bei KrebspatientInnen finden. Positive Effekte ließen sich auch bei PatientInnen mit Diabetes (Murrock et al. 2009), bei PatientInnen mit Herzerkrankungen (Belardinelli et al. 2008) sowie bei traumatisierten PatientInnen (Koch / Weidinger-von der Recke 2009) finden. Pinniger et al. (2013) konnten zeigen, dass Tangotanzen die Symptome einer selbstberichteten Depression sowohl unmittelbar nach der Intervention als auch in einem Follow-up lindern konnte und dabei einer Meditationsgruppe und einer Zirkeltrainingsgruppe überlegen war. Ich selbst und meine KollegInnen veranstalten eintägige, inhaltlich in sich geschlossene Workshops für PatientInnen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung, für Familien mit einem Familienmitglied, das an einer Psychose erkrankt ist (siehe hierzu Berger/ Gunia 2019; Gunia / Berger 2019 und Gunia / Quiroga Murcia 2017), und für depressive PatientInnen und deren Angehörige im Rahmen des Darmstädter Bündnisses gegen Depression (Gunia / Quiroga Murcia 2016). Die Teilnahme weiterer Familienmitglieder wie Eltern, Geschwister oder Kinder ist zwar optional möglich, wird aber in den seltensten Fällen in Anspruch genommen. Die TeilnehmerInnen zahlen die Workshops entweder selbst, oder die Workshops werden im Rahmen von Pilotprojekten in Kliniken unentgeltlich angeboten. Während des Workshops zeigen wir kleine, leicht zu erlernende Schrittkombinationen und lassen Raum zum Üben. Bei Bedarf korrigieren wir, beantworten Fragen oder zeigen, wie diese Schrittkombinationen durchgeführt werden. 61 2 | 2024 Tango Argentino und Verhaltenstherapie bei Depressionen Anders als viele der oben zitierten Autor- Innen kombinieren wir den Unterricht in Tango Argentino mit Strategien aus der Therapie sozialer Kompetenz (Gunia / Saurgnani 2023). Das Training sozialer Kompetenz hat sich in der Behandlung von Depressionen als effizient erwiesen. Wir vermitteln deshalb in diesem Workshop Strategien aus dem Programm von Gunia und Saurgnani (2023), wie z. B. direktes Äußern von Gefühlen, Bitten ablehnen und aktives Zuhören bzw. Validieren. Wir streuen das Vermitteln dieser Fähigkeiten abwechselnd zum Lernen von Schritten in den Workshop ein. Tangoschritte und Kommunikationsstrategien beziehen wir dabei so oft wie möglich aufeinander. Den Bezug stellen wir verbal her, indem wir z. B. immer wieder im Verlauf des Workshops das Äußern von Gefühlen und Bedürfnissen und auf der anderen Seite das Bitten und das Stellen von Forderungen verbal mit dem Führen im Tango und das aktive Zuhören oder Validieren mit dem Folgen im Tango vergleichen. Wir denken, dass sich die vermittelten Strategien durch das Aufeinander-Beziehen besser erinnern und festigen lassen, der Transfer in den Alltag besser gelingt. Das Ganze garnieren wir mit Metaphern und Geschichten aus Buenos Aires. Den genauen Ablauf dieser Workshops haben wir anderer Stelle ausführlich dargestellt (Gunia / Quiroga Murcia 2016, 2017). Mögliche Problemlagen in den Workshops Ein Problem ist, Männer zur Teilnahme an den Workshops zu bewegen. Üblicherweise gibt es einen Frauenüberschuss. Das Problem lässt sich dadurch lösen, dass sich Teilnehmerinnen auch ohne Herren anmelden können und Frauen dann mit Frauen tanzen. Nicht selten gibt es bei Paaren gerade zu Beginn des Lernens Konflikte, die es dann in einem solchen Seminar auszubalancieren gilt. Wir haben gute Erfahrungen damit gemacht, wenn wir als Therapeutenpaar mit den Partnern tanzen und nett, höflich und konstruktiv korrigieren. Es hat sich oft als hilfreich erwiesen zu erwähnen, dass die Führenden die Folgenden „immer gut aussehen lassen“ und Fehler auf sich nehmen. Fehler, die es in Workshops zu vermeiden gilt Als Fehler erachten wir, PatientInnen oder Angehörige zur Teilnahme zu überreden. Die Teilnahme muss immer freiwillig sein. Weiterhin sollte eine zu schnelle Fokussierung auf die zu erlernenden Tanzschritte vermieden werden. Dadurch kann es zu einer Überforderung der TeilnehmerInnen kommen, die die Reaktanz erhöhen und den Spaßfaktor reduzieren kann. Deshalb ist unbedingt darauf zu achten, langsam und spielerisch zu beginnen und Wert auf achtsames Bewegen zu legen. Die Rückmeldungen sollten sparsam sein und dem verhaltenstherapeutischen Prinzip des Shapings folgen. Shaping bedeutet, dass die Tanzpaare langsam an die zu lernenden Schritte herangeführt werden und zunächst Teilschritte oder Annäherungen an die Schrittkombination lernen. Das schrittweise Annähern wird von den Trainern sukzessiv positiv rückgemeldet. Peu à peu bilden sich die Schritte dann in ihrer endgültigen Form heraus. Dadurch sollen negative Erfahrungen vermieden und positive Erfahrungen häufiger werden. Die TrainerInnen drängen die TeilnehmerInnen nie zu nahem Körperkontakt. Körperkontakt darf nie erzwungen sein, sondern muss immer freiwillig erfolgen. Die TeilnehmerInnen lernen spielerisch, mit Körperkontakt zu experimentieren. Manchmal versuchen TeilnehmerInnen, die TrainerInnen in eine SchiedsrichterInnenrolle zu bringen, so dass sie etwa entscheiden sollen, wer im Paar welchen Fehler gemacht hat. TrainerInnen sind nach unserem Konzept nie 62 2 | 2024 Hans Gunia SchiedsrichterInnen, sondern nehmen eine neutrale vermittelnde Rolle ein, versuchen Verständnis sowohl für die Betroffenen als auch für die Angehörigen zu zeigen und versuchen zu vermitteln. Evaluation Um zu überprüfen, ob sich die Ergebnisse von Pinniger et al. (2013) auch auf den deutschen Sprachraum übertragen lassen und um unser Konzept überhaupt zu evaluieren, haben wir jeweils zu Beginn und zum Ende der Workshops Fragebögen ausgeteilt und ausgewertet. Im Folgenden stellen wir die Ergebnisse der Evaluation dar. Hypothesen waren: 1. Bei den Betroffenen sinken die mit dem BDI gemessenen Depressionswerte im Verlauf des Workshops. 2. Bei den Betroffenen reduzieren sich die negativen Affekte im Verlauf des Workshops. 3. Bei den Betroffenen erhöhen sich die positiven Affekte im Verlauf des Workshops. 4. Bei den Angehörigen reduzieren sich die negativen Affekte im Verlauf des Workshops. 5. Bei den Angehörigen erhöhen sich die positiven Affekte im Verlauf des Workshops. Stichprobe TeilnehmerInnen der Studie waren 29 Betroffene und 9 Angehörige. Prozedere Rekrutierung der TeilnehmerInnen Die Workshops für depressive PatientInnen und deren Angehörige fanden zwischen 2013 bis 2019 in der Regel zweimal im Jahr samstags ganztägig statt. Während der Covidkrise konnten in den Jahren 2020 bis 2022 keine Tangoworkshops stattfinden. Zu den Workshops kamen zwischen 13 und 20 TeilnehmerInnen, die entweder über die Berichterstattung in der regionalen Presse, über Flyer des Bündnisses gegen Depression in Darmstadt, über Aushänge in unserer Gemeinschaftspraxis oder über direkte Ansprache eigener PatientInnen vor und nach Therapiesitzungen rekrutiert wurden. Die TeilnehmerInnen leiden / litten entweder selbst unter einer Depression oder waren Angehörige. In der Regel waren Teilnehmerinnen in der Mehrzahl. Vorerfahrung in Tango Argentino wurde nicht vorausgesetzt und war in der Regel nicht vorhanden. Wissend, dass der BDI einen Zeitraum von zwei Wochen misst und wir nur einen einzigen Workshop Tag prä-post evaluierten, entschieden wir uns trotzdem, zu Beginn und zum Ende der eintägigen Workshops das Beck-Depressions-Inventar (BDI, Hautzinger et al. 1995) und einen Fragebogen zur Belastungseinschätzung (BAS, Hunger et al. 2016) auszuteilen. Da es sich um eine naturalistische und explorative Studie handelte, hielten wir das für vertretbar. Weil uns zu Beginn unserer Workshops der BDI II noch nicht zur Verfügung stand, verwendeten wir, um die Bedingungen konstant zu halten, auch später den BDI I. Die Fragebögen wurden anonym ausgefüllt. Die Teilnahme an der Studie erfolgte freiwillig. Wir stellten selbst keine Diagnose. In die Auswertung gingen die TeilnehmerInnen der Workshops ein, bei denen die Betroffenen sowohl den BDI als auch den PANAS (Watson et al. 1988) ausgefüllt hatten, also die TeilnehmerInnen der Workshops, die im Oktober 2014, März 2015 und Juni 2019 stattgefunden haben. Die Workshops haben in der Regel von 9 bis 17 Uhr in einer zu einem Kulturzentrum ausgebauten ehemaligen Schule stattgefunden. Die Räume hatten einen Holzfußboden. Stühle waren für Sitzrunden und Rollenspiele vorhanden und konnten je nach Bedarf in einem Kreis 63 2 | 2024 Tango Argentino und Verhaltenstherapie bei Depressionen aufgestellt und wieder weggeräumt werden. In der Mittagspause (eine Stunde) gab es die Gelegenheit, eine gemeinsame Mahlzeit in einem nahegelegenen Café einzunehmen. Vormittags und nachmittags gab es jeweils noch eine kurze Pause. Um den TeilnehmerInnen eine möglichste angstfreie Teilnahme zu ermöglichen, legten wir zu Beginn der Workshops sehr großen Wert auf eine entspannte Atmosphäre und das Kennenlernen von anderen TeilnehmerInnen im Rahmen von Zweiergruppen, in denen sich die TeilnehmerInnen gegenseitig Fragen stellen konnten. Verwendete Messinstrumente und Fragebögen Die Betroffenen füllten jeweils zu Beginn und Ende des Workshops den BDI (Becks Depressions Inventar, Hautzinger et al. 1995) und den PANAS (Positive and Negative Affect Schedule, Watson et al. 1988) aus. Die Angehörigen füllten zu Beginn des Workshops den Burden Assessment Scale (BAS, Hunger et al. 2016) aus und jeweils zu Beginn und Ende des Workshops den PANAS. Das Signifikanzniveau wurde zweiseitig auf p < 0.05 festgelegt. Ergebnisse Von den 38 Personen, die Fragebögen ausgefüllt haben, haben 15 Personen Alter und Geschlecht angegeben. 5 Personen waren männlich, 10 Personen weiblich. Das durchschnittliche Alter betrug 46,07 (SD 9,80). 22 von 29 Betroffenen füllten den BDI aus. Die Ergebnisse und Signifikanzniveaus sind in Tab. 1 dargestellt. Mit den Daten wurde eine einfaktorielle ANOVA mit Messwiederholung auf dem Faktor Zeit gerechnet. Wie man in Tab. 1 ersehen kann, reduzieren sich die Werte im BDI von 26,45 sehr signifikant auf 16,50. Alle 29 Betroffene füllten den PANAS aus. In Tab. 2 sind die Daten für negative Affekte und in Tab. 3 die Daten für positive Affekte dargestellt. Mit den Daten wurde eine einfaktorielle ANOVA mit Messwiederholung auf dem Faktor Zeit gerechnet. Die positiven Affekte verbesserten sich bei den Betroffenen von durchschnittlich 3,03 signifikant auf 3,27, und die negativen Affekte reduzierten sich von durchschnittlich 1,72 sehr signifikant auf durchschnittlich 1,25 (Tab. 2 und 3). Eine zweifaktorielle ANOVA zu „negativer Affekt“ (Gruppe Betroffene vs. Angehörige und Zeitpunkt) mit Messwiederholung erbrachte einen signifikanten Unterschied zwischen den Messzeitpunkten (F(1, 30) = 10.096, p < .01). Kein signifikanter Unterschied zeigte Mittelwert vorher SD vorher Mittelwert nachher SD nachher Signifikanzniveau 26,45 11,65 16,50 11,35 (F(1, 21) = 34.19, p < .001) Tab. 1: Mittelwerte des BDI - Mittelwert vor und nach dem Workshop (N = 22) Mittelwert vorher SD vorher Mittelwert nachher SD nachher Signifikanzniveau 1,72 0,82 1,25 0,37 (F(1, 28) = 9.93, p < .01) Tab. 2: Mittelwerte negativer Affekte Betroffene (N = 29) 64 2 | 2024 Hans Gunia sich zwischen den Gruppen Angehörige und PatientInnen (F(1, 30) = 0.566, p = .46). Auch die Interaktion zwischen Gruppe und Zeitpunkt war nicht signifikant (F(1, 30) = 0.512, p = .48). Bei den Angehörigen reduzierte sich der negative Affekt von durchschnittlich 1,33 auf durchschnittlich 1,20, während sich der positive Affekt von durchschnittlich 3,00 auf durchschnittlich 3,63 erhöhte (Tab. 4 und 5). Eine zweifaktorielle ANOVA „positiver Affekt“ (Gruppe Betroffene vs. Angehörige und Zeitpunkt) mit Messwiederholung erbrachte einen signifikanten Unterschied zwischen den Messzeitpunkten (F(1, 30) = 6.754, p < .05). Kein signifikanter Unterschied zeigte sich zwischen den Gruppen Angehörige und PatientInnen (F(1, 30) = 0.167, p = .67). Auch die Interaktion zwischen Gruppe und Zeitpunkt war nicht signifikant (F(1, 30) = 1.417, p = .24) 9 Angehörige füllten den Belastungsfragebogen aus. Die Angehörigen gaben eine durchschnittliche Belastung von 1,16 auf einer Skala von 1 bis 4 an (Summenscore 22,06). Diskussion Bei den Betroffenen konnten wir die Hypothesen 1, 2 und 3 1. Bei den Betroffenen sinken die mit dem BDI gemessenen Depressionswerte im Verlauf des Workshops. 2. Bei den Betroffenen reduzieren sich die negativen Affekte im Verlauf des Workshops. 3. Bei den Betroffenen erhöhen sich die positiven Affekte im Verlauf des Workshops. bestätigen. Die anhand des BDI gemessenen Parameter reduzieren sich statistisch sehr signifikant, bei den Betroffenen verbesserte sich der positive Affekt statistisch signifikant, der negative Affekt verringerte sich sogar statistisch sehr signifikant. Bei den Angehörigen weisen die Veränderungen im Affekt in die gleiche Richtung, erreichen aber nicht das Signifikanzniveau. Die Hypothesen 4 und 5 Mittelwert vorher SD vorher Mittelwert nachher SD nachher Signifikanzniveau 3,03 0,68 3,27 0,69 (F(1, 28) = 4.25, p < .05) Tab. 3: Mittelwerte positiver Affekte Betroffene (N = 29) Mittelwert vorher SD vorher Mittelwert nachher SD nachher Signifikanzniveau 1,33 0,15 1,20 0,20 (F(1, 2) = 0.51, p < .55) Tab. 4: Mittelwerte negativer Affekte Angehörige (N = 3) Mittelwert vorher SD vorher Mittelwert nachher SD nachher Signifikanzniveau 3,00 0,47 3,63 0,67 (F(1, 2) = 10.81, p < .081) Tab. 5: Mittelwerte positiver Affekte Angehörige (N = 3) 65 2 | 2024 Tango Argentino und Verhaltenstherapie bei Depressionen 4. Bei den Angehörigen reduzieren sich die negativen Affekte im Verlauf des Workshops. 5. Bei den Angehörigen erhöhen sich die positiven Affekte im Verlauf des Workshops. können wir deshalb nicht bestätigen. Möglicherweise geht das Nichterreichen des Signifikanzniveaus auf die kleine Stichprobe der Angehörigen zurück. Auch war die wahrgenommene Belastung der Angehörigen mit durchschnittlich 1.16 sehr gering. Die Intervention scheint insgesamt erfolgreich, und die Ergebnisse der Studie von Pinniger et al. (2012, 2013) scheinen auch für den deutschen Sprachraum und für unser Konzept zu gelten. Was die Interpretation der Ergebnisse allerdings einschränkt, ist, dass die depressiven Störungen nicht von einem externen Diagnostiker, sondern per Selbstdiagnose bestimmt wurden. Weiterhin fehlt eine Kontrollgruppe. So ist nicht auszuschließen, dass nicht der Tango per se, sondern die Aktivität oder spezifische und / oder unspezifische Tagesschwankungen die Unterschiede generiert haben. Darüber hinaus sind die negativen Affekte zu Beginn des Workshops mit durchschnittlich 1,72 bei den Betroffenen und durchschnittlich 1,33 bei den Angehörigen nicht sehr stark ausgeprägt. Auch sind die positiven Affekte zu Beginn des Workshops mit durchschnittlich 3,03 bei den Betroffenen und durchschnittlich 3,00 bei den Angehörigen schon moderat positiv. Ausblick Selbst wenn man die Ergebnisse mit einiger Vorsicht interpretieren muss (fehlende Randomisierung, fehlende Kontrollgruppe, Depression nicht extern diagnostiziert, sondern von den Teilnehmenden selbst berichtet; durch den BDI alleine und ohne den Beobachtungszeitraum von zwei Wochen darf die Diagnose einer depressiven Störung nicht gestellt werden usw.), sehen wir die Ergebnisse der Studie von Pinniger et al. (2012, 2013) im Ansatz bestätigt. Darüber hinaus gibt es starke Hinweise, dass sich Verhaltenstherapie durch die Kombination von Tango Argentino und Verhaltenstherapie nicht nur spielerischer gestalten lässt, sondern dass auch Interventionen, die dem sozialen Kompetenztraining entnommen sind, mit mehr Leichtigkeit in die Therapie integriert werden können. Auch aus persönlichen Rückmeldungen der TeilnehmerInnen konnten wir entnehmen, dass durch diese Kombination der „Spaßfaktor“ hoch war. Von Rückmeldungen der TeilnehmerInnen wissen wir weiterhin, dass einige die im Workshop vermittelten Strategien tatsächlich weiter angewandt haben. Einige TeilnehmerInnen haben nach dem Workshop Tangounterricht genommen und so ein neues Hobby gefunden. Für uns sind diese Workshops ein gutes Beispiel dafür, wie man einerseits verhaltenstherapeutische Fertigkeiten so vermitteln kann, dass sie Spaß machen, und andererseits kulturelle Fertigkeiten nutzen kann, um Selbstwert, Vergnügen und soziale Kompetenz aufzubauen. Literatur Axelerad, A., Stroe, A. Z., Muja, L. F., Axelerad, S., Chita, D. S., Frecus, C. E., Mihai, C. M. (2022): Benefits of Tango therapy in alleviating the motor and non-motor symptoms of Parkinson’s disease patients-- A narrative review. Brain Sciences 12 (4), 448, https: / / doi.org/ 10.3390/ brainsci12040448 Belardinelli, R., Lacalaprice, F., Ventrella, C., Volpe, L., Faccenda, E. (2008): Waltz dancing in patients with chronic heart failure: New form of exercise training. Circulation: Heart Failure 1 (2), 107-114, https: / / doi.org/ 10.1161/ circheart failure.108.765727 Berger, H., Gunia, H. (2019): Psychoedukative Familienintervention (PEFI). Behandlungsmanual bei psychotischen Störungen. Schattauer, Stuttgart Brokuslaus, I., Welke, T., Edel, A. (2021): Bewegen statt Erstarren! Das Praxisbuch für DBT-Körperskills. Schattauer, Stuttgart 66 2 | 2024 Hans Gunia Gunia, H., Berger, H. (2019): Intervención Familar Psicoeducativa (IFP). Editorial Akadia, Buenos Aires Gunia, H., Quiroga Murcia, C. (2017): Tango in der Psychotherapie. Ernst Reinhardt Verlag, München Gunia, H. Quiroga Murcia, C. (2016): Tango Argentino in der Verhaltenstherapie. Eine mögliche Integration am Beispiel eines Workshops. körper-- tanz-- bewegung 4 (3), 144-151, https: / / doi.org/ 10.2378/ ktb2016.art18d Gunia, H., Saurgnani, S. (2023): Training sozialer Kompetenzen in der Gruppe. Hogrefe, Göttingen, https: / / doi.org/ 10.1026/ 03007-000 Hackney, M. E., Kantorovich, S., Earhart, G. (2007): A study on the effects of Argentine tango as a form of partnered dance for those with Parkinson disease and the healthy elderly. American Journal of Dance Therapy 29, 109-127, https: / / doi.org/ 10.1007/ s10465-007-9039-2 Hautzinger, M., Bailer, M., Worall, H., Keller, F. (1995): BECK-Depressions-Inventar (BDI). Hans Huber, Bern Hunger, C., Krause, L., Hilzinger, R., Ditzen, B., Schweitzer, J. (2016): When significant others suffer: German validation of the Burden Assessment Scale (BAS). PLOS ONE 11 (10): e0163101, https: / / doi.org/ 10.1371/ journal.pone.0163101 Koch, S. C., Morlinghaus, K., Fuchs, T. (2007): The joy dance: Specific effects of a single dance intervention on psychiatric patients with depression. The Arts in Psychotherapy 34, 340-349, https: / / doi.org/ 10.1016/ j.aip.2007.07.001 Koch, S. C., Weidinger-von der Recke, B. (2009): Traumatised refugees: An integrated dance and verbal therapy approach. The Arts in Psychotherapy 36, 289-296, https: / / doi.org/ 10.1016/ j.aip.2009.07.002 Koh, Y., Kim, Noh, I. C., Noh, G. (2018): Tango therapy. Current status and the next perspective. Journal Clinical Review & Case Reports 3 (8), 1-5, https: / / doi.org/ 10.33140/ JCRC/ 03/ 08/ 00005 Langlotz-Weis, M. (2020): Körperorientierte Verhaltenstherapie. 2. Aufl. Ernst Reinhardt Verlag, München Mannheim, E. G., Weis, J. (2005): Tanztherapie mit Krebspatienten. Musik-, Tanz- und Kunsttherapie 16, 121-128, https: / / doi.org/ 10.1026/ 0933- 6885.16.3.121 Murrock, C. J., Higgins, P. A., Killion, C. (2009): Dance and peer support to improve diabetes outcomes in African American women. The Diabetes Educator 35, 995-1003, https: / / doi. org/ 10.1177/ 0145721709343322 Pinniger, R., Brown, R. F., Thorsteinsson, E. B., McKinley, P. (2012): Argentine tango dance compared to mindfulness meditation and a waiting list control: A randomized trial for treating depression. Complementary Therapies in Medicine 35, 60-77, https: / / doi.org/ 10.1016/ j.ctim.2012.07.003 Pinniger, R., Thorsteinsson, E. B., Brown, R. F., McKinley, P. (2013): Tango dance can reduce distress and insomnia in people with selfrefered affective symptoms. American Journal of Dance Therapy 20, 377-384, https: / / doi. org/ 10.1007/ s10465-012-9141-y Trasselli, C., von Auer, A. K., Gunia, H. (2022): DBT-Familienskills. Ein Praxisleitfaden. Hogrefe, Göttingen, https: / / doi.org/ 10.1026/ 03181-000 Watson, D., Clark, L. A., Tellegen, A. (1988): Development and validation of brief measures of positive and negative affect: The PANAS scales. Journal of Personality and Social Psychology 54 (6), 1063-1070, https: / / doi.org/ 10.1037/ 0022- 3514.54.6.1063 Dipl. Psych. Hans Gunia Diplom-Psychologe, Lehrtherapeut und Supervisor VT und DBT, eigene verhaltenstherapeutische Praxis. Fortbildungen und Veröffentlichungen zu Verhaltenstherapie bei Psychosen, Psychoedukation, Borderline-Persönlichkeitsstörungen und Tango Argentino. ✉ Hans Gunia Psychologische Praxis Adelungstr. 23 | D-64283 Darmstadt praxis@hansgunia.de www.hansgunia.de