eJournals körper tanz bewegung 12/2

körper tanz bewegung
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2195-4909
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2024
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Forum: Wenn der Körper NEIN sagt

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2024
Sabine Schmidt
Die körperorientierte Psychotherapie erscheint der Autorin als geeignetste Methode, um Vaginismus zu verstehen und zu heilen. Sie ermöglicht den betroffenen Frauen, zu einer erfüllten Sexualität zu finden, unabhängig davon, wie lange sie schon unter den Beschwerden leiden. Es geht um die Selbstermächtigung der Frauen, denn es ist nicht nur der Körper, der blockiert, sondern auch das Selbst, das Denken und die Emotionen.
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Forum: Aus der Praxis 67 körper-- tanz-- bewegung 12. Jg., S. 67-74 (2024) DOI 10.2378 / ktb2024.art11d © Ernst Reinhardt Verlag Wenn der Körper NEIN sagt Eine Einführung, wie Vaginismus mit körperorientierter Psychotherapie und Sexualtherapie behandelt werden kann Sabine Schmidt Die körperorientierte Psychotherapie erscheint der Autorin als geeignetste Methode, um Vaginismus zu verstehen und zu heilen. Sie ermöglicht den betroffenen Frauen, zu einer erfüllten Sexualität zu finden, unabhängig davon, wie lange sie schon unter den Beschwerden leiden. Es geht um die Selbstermächtigung der Frauen, denn es ist nicht nur der Körper, der blockiert, sondern auch das Selbst, das Denken und die Emotionen. Schlüsselbegriffe Vaginismus, körperorientierte Psychotherapie, Sexualtherapie, Biodynamische Körperpsychotherapie When the Body Says NO. Understanding and Healing Vaginismus The author considers body-oriented psychotherapy to be the most suitable method for understanding and healing vaginismus. It enables affected women to find fulfilled sexuality, regardless of how long they have been suffering from the symptoms. It’s about women’s self-empowerment, because it’s not just the body that blocks, but also the self, the thinking and the emotions. Key words vaginismus, bodyoriented psychotherapy, sex therapy, biodynamic body psychotherapy Was ist Vaginismus? V aginismus (oder auch Scheidenkrampf ) ist eine unwillkürliche, meist schmerzhafte Verkrampfung oder Verspannung der Beckenbodenmuskulatur mit oft sehr hoher Muskelspannung im unteren Bereich der Vagina, teilweise auch der Oberschenkelmuskeln sowie der Dammmuskulatur. Dadurch wird der Scheideneingang als eng oder wie verschlossen wahrgenommen. Es ist ein nicht unterdrückbarer Reflex, eine Überreaktion des Körpers, die beim Versuch, einen Finger, einen Tampon oder Penis einzuführen, ausgelöst wird. Die Intensität und Art der Beschwerden unterscheiden sich von Frau zu Frau. Generell wird zwischen zwei Formen des Vaginismus unterschieden (Bischof 2010): Primärer Vaginismus besteht, wenn es nicht möglich ist, etwas schmerzfrei in die Vagina einzuführen. Er wird von den Betroffenen meist erst in der Pubertät oder als junge Erwachsene entdeckt. Unter sekundärem Vaginismus wird die Form des Vaginismus verstanden, die erst später ausgelöst wurde, also nachdem schon „normales“ Eindringen des Penis und Sexualität erlebt wurde. 68 2 | 2024 Sabine Schmidt Die therapeutischen Möglichkeiten sind sehr ähnlich, der Unterschied ist nur, dass Frauen mit sekundärem Vaginismus die Erfahrung schon in sich tragen, dass Penetrationen möglich sind und sie häufig auch sexuell befriedigende Erfahrungen sammeln konnten. Dadurch geht es oft etwas schneller, bis die Frauen den Penis wieder aufnehmen können. Wenn eine Frau eine der folgenden Fragen mit „Ja“ beantwortet, leidet sie vermutlich unter Vaginismus (Schmidt 2022): ● Können Sie keinen Tampon verwenden, weil Ihnen unwohl wird, bzw. haben Sie das Gefühl, dass dieser nicht hineinpasst? ● Bestehen Schmerzen bei der gynäkologischen Untersuchung, bzw. ist diese nicht möglich, weil die Angst davor zu groß ist? ● Ist ein Eindringen des Penis nicht oder nur sehr schwer bzw. unter Schmerzen möglich? ● Besteht eine große Angst vor einer Schwangerschaft? Schätzungsweise drei bis sieben Prozent der Frauen (die Angaben von Fachleuten im Internet unterscheiden sich sehr) leiden unter Vaginismus. Da das Thema sehr schambesetzt ist, gibt es eine hohe Dunkelziffer. Diagnosestellung Medizinische Standardtests für eine Diagnose von Vaginismus existieren nicht. Das ist einer der Gründe, warum Frauen teilweise jahrelang nach einer Erklärung für ihre Beschwerden suchen. Oft ist Vaginismus nicht einfach und klar abzugrenzen zu anderen Beschwerden und Erkrankungen. Da Vaginismus eine Kombination aus körperlichen Symptomen und psychischen Ursachen ist, ist er für FrauenärztInnen nur schwer zu erkennen, zumal häufig keine organische Veränderung sichtbar ist. Leider werden Frauen mit diesen Symptomen oft nicht wirklich ernst genommen und sind lange auf der Suche nach einem / einer FrauenärztIn, der/ die diese Beschwerden erkennt und versteht (Graf 2022, 7 ff ). Seit DSM-5 (2013) werden die Diagnosen des nichtorganischen Vaginismus und Dyspareunie zusammen als Genito-Pelvine Schmerz-Penetrationsstörung (GPSPS) bezeichnet. Im allgemeinen Sprachgebrauch wird aber weiter der Begriff Vaginismus benutzt. Die gute Nachricht ist: Vaginismus ist sehr gut behandelbar, die Erfolgsquote ist hoch, so dass eine erfüllende Sexualität möglich wird. Eine vollständige Heilung kann erreicht werden, unabhängig davon, wie lange die Beschwerden schon bestehen (Ebert 2021, 6; Graf 2022). Ursachen Erfahrungsgemäß wird davon ausgegangen, dass die Hauptursache meistens emotionaler Natur ist, welche sich dann im Körper zeigt (sofern keine Erkrankung wie z. B. Endometriose vorliegt). Für einen therapeutischen Ansatz gilt es, den Ursprung der Problematik zu erforschen und zu bearbeiten. Schmerzen beim Geschlechtsverkehr können verschiedene Ursachen haben. Sowohl chronische Harnwegsinfektionen als auch bakterielle, virale oder durch Pilze hervorgerufene Infektionen gehören zu den häufigsten Ursachen für die Entstehung von Schmerzen beim Geschlechtsakt (Schmidt 2022). Daraus kann sich dann manchmal ein sekundärer Vaginismus entwickeln. Es gibt eine Studie aus den USA (Husain 2020), derzufolge eine Spinalanästhesie hilfreich sein kann. Ich hatte eine Klientin, die dann zweimal den Penis schmerzfrei aufnehmen konnte, aber dann war es wieder vorbei. Die dahinterliegenden Ängste lassen sich meiner Meinung nach nicht wegspritzen. Jeder Vaginismus hat seine ganz eigene Entstehungsgeschichte. In der Regel liegen keine Körperorientierte Psychotherapie bei Vaginismus 2 | 2024 69 körperlichen Ursachen wie Infektionen oder Entzündungen vor, die den Vaginismus auslösen. Oft wird er durch Ängste, unangenehme oder überfordernde Erfahrungen und seelische Erschütterungen ausgelöst. Was die Angst auslöst, ist individuell unterschiedlich, häufig kommen verschiedene Erlebnisse und Wahrnehmungen zusammen. Sexueller Missbrauch als Ursache ist in meiner ambulanten Praxis sehr selten der Fall. Beispiele für Ursachen von primärem Vaginismus Prüderie in der Ursprungsfamilie, der Peergroup oder eine entsprechend ablehnende Einstellung zu Sexualität können ursächlich sein. Eine Klientin hatte als 7-Jährige einen Unfall auf dem Spielplatz, bei dem sie mit ihrer Vulva auf eine Eisenstange gestoßen war. Weil es so stark blutete, ging die Mutter mit ihr ins Krankenhaus. Die Ärzte schauten ihr mit grellem Licht zwischen die Beine, was ihr äußerst peinlich war. Vermutlich wurde sie auch untersucht (was nicht mehr bewusst ist), weil sie panische Angst hatte, dass irgendwas „einfach so in sie reinkommen“ könnte. Bei einer anderen Klientin war es so, dass sie mit 14 Jahren ihren ersten Freund hatte und er in der ganzen Clique rumerzählt hatte, dass sie noch nicht die „Beine breit gemacht hat“ (die Fallgeschichte dazu weiter unten). Behandlungsmöglichkeiten Für am sinnvollsten halte ich eine Sexualtherapie, welche mit dem Körper arbeitet. Es gibt aber auch Frauen, die sich eine Therapie nicht zutrauen, weil es schambesetzt ist, keine Sexualtherapeutin in der Nähe arbeitet oder sie es Dynamik des Vaginismus 1 Angst vor Schmerzen 2 Unbewusste oder bewusste Angstreaktionen 3 Vaginale Krämpfe und Brennen 4 Schmerzen 5 Angst, dass der Schmerz wiederkommt 6 Angst und Vermeiden von Intimität ü ü ü ü ü ü Abb. 1: Dynamik des Vaginismus Quelle der Grafik: Sabine Schmidt (2022): Wenn der Körper NEIN sagt. Vaginismus verstehen und heilen. Innenwelt Verlag, Köln 70 2 | 2024 Sabine Schmidt sich finanziell nicht leisten können. Es gibt mittlerweile einige Selbsthilfeliteratur mit gynäkologischem oder physiotherapeutischem Ansatz und Berichte von betroffenen Frauen. Mir war es wichtig, den sexualtherapeutischen und körperpsychotherapeutischen Ansatz zu beleuchten (Schmidt 2022). Einstieg in den therapeutischen Prozess In der Therapie hat es sich als sinnvoll erwiesen, spielerisch zu beginnen. Als kleine Übung und um den Beckenboden von innen spüren zu können, lasse ich die Klientin z. B. einen Luftballon aufblasen. Die Anatomie des Beckenbodens, seine drei Schichten und deren Funktion zu erklären, ist auch wichtig. Es ist erstaunlich, dass die Frauen meist keine Vorstellungen haben von der Anatomie ihrer Klitoris und Vagina. Deswegen ist es sinnvoll, auch Grafiken zu zeigen und ein Klitorismodell zum „Begreifen“ anzubieten. Für die Therapie ist es bedeutsam, insgesamt häufig und regelmäßig mit dem Körper zu arbeiten und auch vielfältige Hausaufgaben mitzugeben (welche manchmal gemacht werden, manchmal aber auch nicht, wenn der Widerstand aktiv ist) (Graf 2022, 38 ff ). Das Motto ist immer: Die Patientinnen dürfen sich fordern, aber nicht überfordern. Sie sind sich oder werden sich bewusst, dass die Beschwerden „von alleine“ nicht weggehen werden. In der Therapie haben die Klientinnen auch das Bedürfnis, viel darüber zu sprechen, weil sie häufig sonst keine AnsprechpartnerInnen haben, bei denen sie auch offen ihre Fragen stellen können. Es ist natürlich hilfreich und geboten, dass der / die TherapeutIn selbst mit dem Thema „Sexualität“ offen und entspannt umgeht. Es gibt viele mögliche Übungen in folgenden Kategorien (Schmidt 2022): ● Wahrnehmungsübungen ● Dehn-, Entspannungs- und Kräftigungsübungen des Beckenbodens ● Dehnübungen des Beckens, der Rück- und Innenseiten der Oberschenkel ● Energie- und Atemübungen ● Die Übung „Jelly fish“ ● Konkrete Übungen, mit der Vagina Kontakt aufzunehmen, um sich dann dem Aufnehmen des Dilators (Dehnungsstab) und später des Penisses langsam anzunähern ● Selbstmassagen ● Emotionale Aufarbeitung Dilatoren gibt es in verschiedenen Materialien und Ausführungen. Meist sind sie aus Silikon und in fünf verschiedenen Größen erhältlich. Abb. 2: Aufbau der Klitoris Körperorientierte Psychotherapie bei Vaginismus 2 | 2024 71 Es sind konisch geformte Dehnungsstäbe, welche zur Desensibilisierung und zur Dehnung der Vagina dienen. Wichtig ist, nicht zu früh mit diesen zu beginnen. Es braucht zuerst eine Wahrnehmung von innen, wie es geht, den Beckenboden entspannen zu können. Beispiele von Körperübungen Der „Jelly fish“ von Gerda Boyesen (Biodynamik) oder ähnlich die neurogenen TRE-Zitterübungen von David Berceli sind sehr hilfreich, weil es einerseits möglich ist, Stress und Spannungen im Becken zu lösen, anderseits erleben die Frauen, dass sie mit Absicht zittern können und es auch stoppen können (Schmidt 2022). Beim Vaginismus fühlen sie sich ihrem Zittern und den Krämpfen ausgeliefert. Die sogenannte „Flötenatmung“ ist auch eine sehr hilfreiche Atemübung in Verbindung mit dem Beckenboden. Die Vorstellung dabei ist, dass es eine energetische Röhre / Verbindung zwischen Vagina und Mund gibt und über die Vagina eingeatmet wird. Beim Einatmen wird der Beckenboden angespannt und beim Ausatmen wieder loslassen. Der Fokus liegt auf dem Loslassen, dem wirklichen Entspannen, auch als Vorbereitung für das Aufnehmen von Dilatoren und Penis. Emotionale Stärkung und Aufarbeitung Die emotionale Stärkung und Aufarbeitung kann auf folgende Weise angeregt werden: ● Ihre Stärken erkunden, damit sie eine gute Grundlage haben und sich zutrauen, sich auf das für sie schwierige Thema einzulassen ● Starke Ermutigung, dass sie ihren eigenen Körper erkunden dürfen und dass er ihnen gehört ● Der Umgang mit der Scham ist sehr wichtig ● Übungen mit Fallenlassen und Loslassen, sich anvertrauen lernen ● Atemübungen sind auch bedeutsam ● Selbstmassagen, am Bauch, am Vulvahügel, an ihren Oberschenkeln ● Fragen zur emotionalen Selbstreflexion und Aufarbeitung ● Beckenbodenübungen, damit die Frauen lernen, sich von innen zu spüren, den Unterschied lernen zwischen Spannung und Entspannung und um emotionalen Zugang bekommen zu können, dass die Vagina ihnen gehört und sie damit machen dürfen, was sie wollen. Erst dann ist es sinnvoll, sie zu ermuntern, mit den Dilatoren zu beginnen. Dazu gehört auch das ganze Spektrum der körperorientierten Psychotherapie, je nachdem, an welchem Punkt die Frauen stehen. Eine emotionale Reise kann angetreten werden, d. h. Fragen behandelt werden, wie: Was sind eigentlich die Ängste? Was könnte passieren? Was ist das Horrorbild? Damit ist es möglich, sehr differenziert zu arbeiten. Auch mit Ambivalenzen zu arbeiten, ist wichtig: ein Teil, der möchte, dass alles so bleibt, wie es ist, also das Vertraute, und der andere Teil, der wachsen möchte, sich entwickeln möchte und auch dem Partner zuliebe endlich „normalen“ Sex ermöglichen möchte (Schmidt 2022). Manchmal besteht auch ein Kinderwunsch, was eine starke Motivation sein kann. Das heißt, die Überschrift lautet: Hinwendung zum Körper, ihn weiter kennenlernen Abb. 3: Raus aus der Komfortzone 72 2 | 2024 Sabine Schmidt und erkunden, z. B. auch mit liebevollem Eincremen der Vulva, etwa zwei Wochen lang täglich, um sie kennenzulernen, auch sie mal mit einem Spiegel anzuschauen (was vielen Frauen unglaubliche Überwindung kostet). Die Partner Das Erstaunliche und für mich sehr Berührende ist immer wieder, dass es Männer oder auch Partnerinnen gibt, die teilweise 2 bis 3 Jahre warten, bis die Frau bereit ist, und sie in diesem Prozess begleiten. Sie sind teilweise auch sehr frustriert und unsicher, was sie machen sollen oder ob sie etwas falsch machen. Sie wollen ihrer Partnerin ja nicht weh tun. Aber sie warten. Natürlich gibt es aber auch Partner, die die Flucht ergreifen. Den Weg gemeinsam gegangen zu sein, vertieft die Beziehung enorm. Für Sexualität und die eigenen Bedürfnisse eine Sprache zu finden, ist Teil des Lernprozesses. So können sie experimentieren und alles, was im Konsens möglich ist, mit ihrem Partner ausprobieren und sich ihre Lust erlauben, auch wenn Eindringen noch nicht möglich ist (Hofer 2013). Es gibt auch Frauen, die sich nicht trauen, sich auf eine Partnerschaft einzulassen, weil sie sich unsicher sind bzw. sich als Frau nicht vollwertig fühlen und sehr unter Druck stehen, den entsprechenden Erwartungen nicht zu genügen. In solchen Fällen ist die Empfehlung, diese Zeit in ihrem Leben zu nutzen, um an sich zu arbeiten. Es gibt im Internet einige Erfahrungs- und Selbsthilfeportale, meist von ehemals betroffenen Frauen. Diese sind sicherlich eine sehr gute Hilfestellung, Informationsquelle und dienen zur Ermunterung für die Frauen, dass es möglich ist, Vaginismus zu überwinden. Beispiele sind www.vaginismus-selbsthilfe.de und www.thevagstories.com. Falldarstellung Anna, Betriebswirtin Vorstellung der Klientin zu Beginn der Therapie Anna war 24 Jahre alt (zunächst Studentin), wirkte attraktiv und selbstbewusst. Ihr Ziel für die Therapie war zu klären, warum sie Angst vor Sex hat. Ihre Hemmungen wollte sie überwinden und sich in ihrem Körper wohlfühlen. In ihrem Elternhaus war Sex ein Tabuthema, es gab viele Schamgefühle seitens der Mutter. Ihre Kindheit beschrieb sie dennoch als sehr schön mit einem guten Familiensystem und Zusammenhalt. Alles rund um das Thema Sex war ihr extrem peinlich. Nach der ersten Therapiestunde hatte sie Muskelkater, so sehr hatte sie sich angespannt, als sie über das Thema „Sex“ sprach. Sich selbst genital zu berühren, fand sie eklig, und wenn ihr Freund ihren Busen berührte, fragte sie sich, was das soll, d. h. sie spürte nichts. Da sie zu Beginn der Therapie noch Jungfrau war, war sie sehr unter Druck, weil sie befürchtete, dass ihr Partner (mit dem sie damals schon drei Jahre zusammen war) die sexuelle Einschränkung bald nicht mehr mitmachen und sie verlassen könnte. Meine Aufgabe die ersten Monate sah ich darin, dass sie lernte, auf allen Ebenen Druck rauszunehmen, und ihr zu vermitteln, dass sie ohne Schamgefühle fragen und erzählen darf. Die Frauenärztin konnte sie nicht untersuchen. Dort nur auf dem Untersuchungsstuhl zu sitzen, löste schon Panik in ihr aus. Verlauf der Therapie und meine spezifischen Interventionen zu Beginn Ich habe ihr geraten, zusammen mit ihrem Partner mit einem Sexverbot zu beginnen, also keinerlei genitale Berührung, was beide entlastete, und so konnten sie lernen, miteinander zu entspannen. Sie hat dann auf meinen Rat hin angefangen, sich im Internet über Vaginismus zu informieren (es gab damals noch keine Bücher zum Thema), und war sehr Körperorientierte Psychotherapie bei Vaginismus 2 | 2024 73 erleichtert, weil ihr klar wurde, dass es viele andere betroffene Frauen gibt. Hausaufgaben waren damals z. B., das Becken zu dozen (im Liegen Becken anheben und runterfallen lassen), sich selbst an Po, Busen und genital zu berühren, Beckenbodentraining, Atemübungen etc. Bei ihrem Vaginismus waren die Oberschenkel stark beteiligt, d. h. sie zitterten stark. Es brauchte eine lange Annährungsphase an ihre Schenkel, die immer wieder schnell zitterten, wenn ich sie berührte (Anfangs mit Jeans). Dann konnte sie immer mehr loslassen, vertrauen und es sogar genießen, wenn ich ihre Schenkel und den Bauch massierte. Dadurch konnte sich viel Spannung lösen, und sie kam immer besser in Kontakt mit sich selbst. Ihre Hausaufgaben waren dann, ihre eigenen Schenkel und den Körper zu berühren und zu massieren. Es habe ihr als Kind niemand vermittelt, dass sie ihren Körper mögen darf. Ihre Mutter hätte sie als Kind als übergriffig bzw. „eindringend“ wahrgenommen. Nun machte es ihr fast Spaß, mit dieser nun zickig zu sein und zu merken, dass sie in der Pubertät viel zu lieb und angepasst gewesen war. Immer mehr lernte sie, sich konstruktiv abzugrenzen. Als wir mit dem „Jelly fish“ (Biodynamische Körperübung) arbeiteten, war sie erleichtert, dass sie es selbst zulassen konnte zu zittern und auch aufzuhören, wenn sie möchte. Beim Vaginismus kannte sie, dass die Beine so stark zitterten vor lauter Stress, dass sie es nicht kontrollieren konnte. Zu der Zeit kam die schmerzhafte Erfahrung wieder hoch, dass ihr erster Freund, als sie 14 Jahre alt war, in der Clique herumerzählte, dass sie die „Beine nicht breit gemacht habe“. Das Erlebnis war überfordernd und schmerzhaft, und sie war nun endlich wütend auf diesen „Scheißkerl“, der sicherlich selbst unsicher gewesen war und ungeschickt gehandelt hatte. Diese Wut in den Therapiestunden auch körperlich auszudrücken, war enorm erleichternd für sie. Nackt sein in der Wohnung bzw. nur ein Tuch umgebunden zu haben oder nackt schlafen (also auch ohne Unterhose), war zuerst eine echte Herausforderung. Aber meistens ging sie die Herausforderungen mit Neugier und motiviert an. Motivationslöcher kamen erst später. Erste Therapieerfolge Nach ca. fünf Monaten wurde es dann endlich möglich, Tampons zu benutzen. Das hat sie sehr erleichtert, und sie war richtig stolz auf sich. Nun traute sie sich nach und nach, den Penis ihres Freundes mal wirklich anzuschauen, auch sich selbst mehr an der Vulva und Vagina zu berühren. Den Finger in die Vagina einzuführen, löste damals aber noch Schwindel aus. Dann kam die Phase, wo sie anfing, mit den Dilatoren zu üben. Teilweise hat sie auch die von mir empfohlenen Möhren benutzt, weil es lustiger war. In dieser Phase wurde sie neugieriger und hat angefangen, sich selbst kennenzulernen und sich zu befriedigen. Ihre Angst vor Sex wurde langsam weniger, und sie erlebte mit dem Freund auch zunehmend lustvolle Begegnungen. Bald haben wir an ihrem Horrorbild gearbeitet. Sie sah sich bei der ersten Penetration in einer großen Blutlache auf einem ansonsten weißen Laken- - alles „total peinlich“, und es war klar, der Freund würde dann fliehen. Mir dieses Bild zu zeigen, war sehr emotional. Sie konnte dies dann kreativ umwandeln, hat sich viel mit der Farbe Rot beschäftigt. Ihre Hausaufgabe war, rote Unterwäsche zu tragen, eine rote Kerze, rote Blumen etc. Auch die Verbindung damit, dass alle Frauen auf der ganzen Welt Periodenblut kennen und dies ein Ausdruck dafür ist, dass ein Frauenkörper gesund ist und normal und gut funktioniert, hat ihr geholfen. Insgesamt hat sie durch Atemübungen und Massagen immer mehr gelernt, wie sich Entspannung im Körper anfühlt und entstehen kann. Eine ihrer Aussage damals war: „Sex könnte mein neues Hobby werden.“ Sie erlebte es freudiger, allerdings noch ohne Penetration. 74 2 | 2024 Sabine Schmidt Ihr Perfektionsdruck im Job wurde jedoch immer stärker, und ihr Chef forderte sie sehr. Sie fing zunehmend an zu beobachten, bei was sie sich sonst noch Druck machte, also nicht nur bei dem Thema „ich muss doch jetzt endlich richtig Sex haben können“. Sie konnte nun zulassen, dass ihr Freund ca. vier Zentimeter in sie eindringen konnte. Die zwei hatten Spaß im Bett und haben weiter Sex geübt. Als es geklappt hat, eine dicke Möhre das erste Mal tief einzuführen, hat sie vor Erleichterung geweint. Erfolgreiches Ende der Therapie Dass ihr Freund ihr „trotz des Problems“ einen Heiratsantrag machte, berührte sie sehr und stärkte ihr Vertrauen. Auf der Hochzeitsreise konnten sie das erste Mal miteinander schlafen. Sie haben beide geweint vor Erleichterung, zusammen getanzt, gelacht und sich sehr gefreut. Sie war so stolz, und ihre Aussage „wie wenn Tonnen von meinen Schultern geplumpst wären“ spricht für sich. Fazit Die Annäherung zur eigenen Vagina und Vulva ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer erfüllenden und schmerzfreien Sexualität. Die aufgezeigte Fallgeschichte verdeutlicht die Wirkung der körperorientierten Sexualtherapie und die Wirksamkeit von Körperübungen wie Atemtherapie, Massagen sowie der Umgang mit Emotionen. Ein ganzheitliches multimodales Therapiekonzept ist wichtig, damit die Betroffenen verstehen, dass der Vaginismus eine Schutzfunktion darstellt und wie dieser funktioniert, damit die Klientinnen die Symptome aktiv lösen können. Literatur Bischof, K. (2010): Vaginismus und Dyspareunie der Frau. In: www.ziss.ch/ site/ assets/ files/ 1045/ vaginismus_dyspareunie.pdf, 2.12.2023 Ebert, D. D. (2021): Studienbericht „HelloBetter Vaginismus Plus“. Online-Programm zur Behandlung von schmerzbezogener Penetrationsstörung. Zweiarmige randomisierte kontrollierte Studie mit 200 Teilnehmerinnen. In: hellobetter.de/ wpcontent/ uploads/ 2022/ 12/ HelloBetter-Vaginis mus-Plus-Studienbericht.pdf, 20.12.2023 Graf, S. (2022): Vaginismus und Behandlungsansätze. Masterarbeit zur Erlangung des akademischen Grades Master of Arts Sexologie an der Hochschule Merseburg. In: opendata.uni-halle. de/ bitstream/ 1981185920/ 94587/ 1/ GrafSarah_ Vaginismus_und_Behandlungsansaetze.pdf, 20.12.2023Hofer, W. (2013): Psychodrama-Sexualtherapie im ambulanten Setting. Ein theorieverschränkter Praxisbericht. Masterthese an der Donau-Universität Krems. In: webthesis.donauuni.ac.at/ thesen/ 91603.pdf, 20.12.2023 Hofer, W. (2013): Psychodrama-Sexualtherapie im ambulanten Setting. Ein theorieverschränkter Praxisbericht. Masterthese an der Donau-Universität Krems. In: webthesis.donau-uni.ac.at/ thesen/ 91603.pdf, 20.12.2023 Husain, S. (2020): Spinalanästhesie erleichterter Geschlechtsverkehr als Behandlungsoption für Vaginismus. In: https: / / ichgcp.net/ de/ clinicaltrials-registry/ NCT04436172, 20.1.2024 Schmidt, S. (2022): Wenn der Körper NEIN sagt. Vaginismus verstehen und heilen. Innenwelt Verlag, Köln Sabine Schmidt Biodynamische Körperpsychotherapie, Heilpraktikerin (Psychotherapie), ECP, 33 Jahre eigene Praxis in Stuttgart, davon 18 Jahre als Sexualtherapeutin. Training in „Sexual Grounding Therapy (SGT)“ nach Willem Popelliers. ✉ Sabine Schmidt Strohberg 42 | D-70180 Stuttgart www.schmidt-therapie.de www.vaginismus-heilen.de