körper tanz bewegung
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2195-4909
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/ktb2024.art20d
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Aktuelle tanztherapeutische Studien in der pädiatrischen Onkologie, mit sturzgefährdeten älteren Damen und Menschen mit Demenz
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Iris Bräuninger
Der Beitrag stellt eine retrospektive Studie zu Tanztherapie (TT) in der onkologischen Pädiatrie vor (Bryl et al. 2023) und widmet sich zwei Forschungsarbeiten mit älteren Menschen: Die randomisierte Pilotstudie von Pitluk und KollegInnen (2023) beschäftigt sich mit der Durchführbarkeit und Wirksamkeit einer Kombinationsbehandlung – Physical Therapy Exercise und Tanzbewegungstherapie – auf das Sturzrisiko älterer Frauen. Der Cochrane Review von Karkou et al. (2023) prüft die Wirksamkeit der TT auf die kognitive und psychische Gesundheit Erwachsener ab 55 Jahren mit leichter kognitiver Beeinträchtigung.
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125 Aktuelles aus der Forschung körper-- tanz-- bewegung 12. Jg., S. 125-127 (2024) DOI 10.2378/ ktb2024.art20d © Ernst Reinhardt Verlag Aktuelle tanztherapeutische Studien in der pädiatrischen Onkologie, mit sturzgefährdeten älteren Damen und Menschen mit Demenz Iris Bräuninger D er Beitrag stellt eine retrospektive Studie zu Tanztherapie (TT) in der onkologischen Pädiatrie vor (Bryl et al. 2023) und widmet sich zwei Forschungsarbeiten mit älteren Menschen: Die randomisierte Pilotstudie von Pitluk und KollegInnen (2023) beschäftigt sich mit der Durchführbarkeit und Wirksamkeit einer Kombinationsbehandlung-- Physical Therapy Exercise und Tanzbewegungstherapie- - auf das Sturzrisiko älterer Frauen. Der Cochrane Review von Karkou et al. (2023) prüft die Wirksamkeit der TT auf die kognitive und psychische Gesundheit Erwachsener ab 55-Jahren mit leichter kognitiver Beeinträchtigung. Tanztherapie in der pädiatrischen Onkologie: eine retrospektive Studie Bryl et al. (2023) untersuchten im Rahmen einer retrospektiven Studie in der pädiatrischen Onkologie die Gründe für die Überweisung krebskranker Kinder zur Tanztherapie (TT), die Merkmale der TT-Behandlung, TT-Techniken, TT- Prozesse und die in den ärztlichen Abschlussbriefen berichteten Ergebnisse. Hierfür wurden die elektronischen Krankenakten von 100 zufällig ausgewählten pädiatrischen PatientInnen ausgewertet, die zwischen 2011 und 2021 insgesamt 1000mal tanztherapeutisch behandelt wurden. Von den TeilnehmerInnen im Alter zwischen 0 und 27-Jahren waren 63 % weiblich. Die qualitative thematische Analyse ergab, dass 77,9 % der TeilnehmerInnen aufgrund psychischer Belastung und 19,6 % wegen Schmerzen zur TT angemeldet wurden. Die Behandlungsdauer betrug bei 41 % 15-25 Minuten, bei 22,5 % 30-45 Minuten und bei 18,1 % 10 Minuten. Die TT-Behandlungen fanden in dreifünftel der Fälle im stationären und etwa in zweifünftel der Fälle im ambulanten Setting statt, wovon 91,2 % Folgebesuche waren. Pflegekräfte nahmen an 43,7 % der Behandlungen teil, und bei 5,5 % der Besuche wurde ausschließlich mit Pflegekräften gearbeitet. In 77 % der Behandlungen kam ein „traditioneller“ TT-Ansatz zum Einsatz mit tänzerischen, improvisatorischen, strukturierten Bewegungselementen, kreativem und emotionalem Ausdruck, Einsatz von Symbolismus und Metaphern und supportiver Beziehung im Einzel- oder Gruppensetting. In 23 % wurde ein multisensorischer TT-Ansatz (MSDMT) inklusive Schmerzmanagement-Elementen angewandt, welcher die Rolle des Körpers und die multisensorische Erfahrung betont mit dem Ziel, die physiologische und psychologische Bewältigung zu unterstützen: Anhand von Aktivitäten (unter Einsatz 126 3 | 2024 Iris Bräuninger von Bewegung, Musik, Berührung, Atemwahrnehmung, Hypnose, Bilder und Meditation) wurde der Fokus weg vom Schmerz hin zu angenehmen Sinnesempfindungen gelenkt, um die positive Schmerzkontrolle aufzubauen und Bewältigungsstrategien zu fördern. Die AutorInnen schließen daraus, dass sich die MSDMT als nichtinvasive Methode eignen könnte, die pharmakologischen und medizinischen Behandlungen zu ergänzen. Weitere Ziele waren die Förderung des Selbstausdrucks, der emotionalen Selbstregulierung, der Sozialisation und der Interaktion BetreuerIn- -- Kind. Die ärztlichen Ergebnisse betonten die Bewältigung der Krankenhauserfahrung (58 %), verbesserte Schmerzbehandlung (27 %), verbesserte Selbstregulation (21 %) und erhöhte körperliche Aktivierung (13,2 %). Die AutorInnen betonen die MSDMT als besonders indiziert für Kinder, um ihnen beispielsweise in Momenten erhöhter Erregung oder Schmerzwahrnehmung zu ermöglichen, selbstregulierend (beispielsweise über tanz- und bewegungsbasierte Meditation) auf schmerzhafte Erfahrung mit Ablenkung zu reagieren. Ferner sollten Pflegekräfte in der Entwicklung der Behandlung und den therapeutischen Interventionen miteinbezogen werden. Sturzprävention durch Kombination von Tanztherapie und Physical Therapy Exercise (PTE) Pitluk und KollegInnen (2023) überprüften anhand eines Pilot-RCT die Durchführbarkeit und Wirksamkeit einer Kombinationsbehandlung von TT und PTE auf das Sturzrisiko älterer Frauen. Von 18 rekrutierten Teilnehmerinnen nahmen zehn ältere Frauen einer Tagesstätte für Senioren (Median = 86 [81,25-90,75] Jahre) teil. Die Behandlung kombinierte Physiotherapieübungen (PTE) basierend auf dem Otago- Übungsprogramm und TT-Techniken mit dem Ziel, die emotionale Erfahrung während des Trainings anzusprechen. Jede Gruppe nahm über drei Wochen 2x / Woche an 40-minütigen Interventionen teil. Nach dem Zufallsprinzip wurden die Teilnehmerinnen auf die PTE+TT- Interventionsgruppe (n = 5) oder die PTE-Kontrollgruppe (n = 5) zugeordnet (zwei Datensätze der KG wurden aufgrund fehlender Postmessungen ausgeschlossen). Bewertet wurden Sturzrisiko, Therapeutin-Patientin-Bindung und Einhaltung von Übungen zu Hause. Die Ergebnisse konnten eine Verbesserung in Bezug auf Gleichgewicht und Angst vor Stürzen in der PTE+TT- Gruppe im Vergleich zur PTE-Gruppe aufzeigen, jedoch keine wesentlichen Unterschiede bezüglich weiterer Parameter. Für zukünftige Forschungen schlagen die Autorinnen mehrere Modifikationen des Forschungsprotokolls vor. Tanztherapie bei Menschen mit Demenz: Ein Cochrane Review Karkou und KollegInnen (2023) führten einen Cochrane Review zur Wirksamkeit der TT bei Menschen mit Demenz in Bezug auf Verhaltens-, soziale, kognitive und emotionale Symptome durch. Ein weiteres Ziel war der Vergleich von verschiedenen Formen der TT (z. B. Labanbasierte Tanzbewegungstherapie, Chace-Tanzbewegungstherapie, Authentic Movement). Die Literaturrecherche wurde in Registern der Cochrane Dementia and Cognitive Improvement Group, MEDLINE (Ovid SP), Embase (Ovid SP), PsycINFO (Ovid SP), CINAHL (EBSCOhost), Web of Science Core Collection (Clarivate), LILACS (BIREME), ClinicalTrials.gov und im Metaregister der Weltgesundheitsorganisation des International Clinical Trials Registry durchgeführt (bis 8.12.2022). Eingeschlossen wurden folgende Studien: (P) Menschen jeden Alters und in jeder Umgebung mit Demenz, (I) TT-Intervention von TanztherapeutIn (auch i. A.) durchgeführt, (C) Kontrollbedingung ohne Behandlung, mit Standardversorgung oder mit anderer Behandlung, (O) primäre Outcome- 3 | 2024 127 Aktuelles aus der Forschung Variablen: von Betreuern beschriebene „herausfordernde Verhaltensweisen“ (z. B. Wandern, Unruhe, allgemeine Unruhe), kognitive Funktionen, Ausmaß der Depression und Lebensqualität (plus sekundäre Outcomevariablen). Zwei der Review-Autorinnen sammelten, analysierten und bewerteten unabhängig voneinander die Daten und die methodische Qualität und bewerteten die Ergebnisse anhand der GRADE-Methoden. Die Rechercheergebnisse ergaben 752 Treffer, wovon nach Abzug der Duplikate 719 anhand von Titel und Zusammenfassungen überprüft wurden. Zwölf Studien wurden im Volltext gecheckt. Lediglich eine Studie davon (mit vier Publikationen) entsprach den Einschlusskriterien (Ho et al. 2020), die Studie zeigte hohe Qualität. Es wurde kein Unterschied zwischen der TT und Kontrollbedingung mit Übungsbehandlung oder Wartegruppe für das allgemeine Verhalten, das geistige Wohlbefinden oder die Kognition festgestellt. In Bezug auf Depressionen zeigte die TT im Vergleich zu Übungsbehandlungen oder Warteliste einen geringen positiven Effekt, welcher auch drei und neun Monate nach Ende der Therapie anhielt. Andere Variablen waren nicht überprüfbar. Schlussfolgerung und Ausblick Tanztherapie in der onkologischen Pädiatrie scheint eine bislang kaum genutzte, aber dennoch wichtige ergänzende Möglichkeit der kindgerechten Behandlung darzustellen, die vielversprechend ist. Besondere Beachtung verdient dabei der multisensorische TT-Ansatz (MSDMT) mit inklusivem Schmerzmanagement. Die Behandlung von Menschen mit Demenz fordert die Tanztherapie auf verschiedenen Ebenen heraus: Evidenzbasierte Ansätze zu entwickeln und Wirksamkeitsforschung auf hohem Niveau durchzuführen, ist dringend indiziert. Der Einstieg der TT im Bereich der Sturzprävention ist gelungen, nun sind weitere Entwicklungs- und Forschungsprojekte gefragt. Literatur Bryl, K., Tortora, S., Whitley, J., Kim, S. D., Raghunathan, N. J., Mao, J. J., Chimonas, S. (2023): Utilization, delivery, and outcomes of dance / movement therapy for pediatric oncology patients and their caregivers: A retrospective chart review. Current Oncology 30 (7), 6497-6507, https: / / doi.org/ 10.3390/ curroncol30070477 Ho, R. T., Fong, T. C., Chan, W. C., Kwan, J. S., Chiu, P. K., Yau, J. C., Lam, L. C. W. (2020): Psychophysiological effects of dance movement therapy and physical exercise on older adults with mild dementia: a randomized controlled trial. Journals of Gerontology, Series B, 75 (3), 560-570, https: / / doi.org/ 10.1093/ geronb/ gby145 Karkou, V., Aithal, S., Richards, M., Hiley, E., Meekums, B. (2023): Dance movement therapy for dementia. Cochrane Database of Systematic Reviews 8, CD011022, https: / / doi. org/ 10.1002/ 14651858 Pitluk Barash, M., Shuper Engelhard, E., Elboim- Gabyzon, M. (2023): Feasibility and effectiveness of a novel intervention integrating physical therapy exercise and dance movement therapy on fall risk in community-dwelling older women: a randomized pilot study. Healthcare 11 (8), 1104, https: / / doi.org/ 10.3390/ healthcare11081104 Dr. Iris Bräuninger Senior Researcher (Hochschule für Heilpädagogik Zürich IVE), Dozentin MA Tanztherapie UAB Barcelona, BTD-Supervisorin / Ausbilderin / Lehrtherapeutin, KMP-Notatorin, Praxis Tanztherapie Supervision Bodensee. ✉ Dr. Iris Bräuninger dancetherapy@mac.com oder iris.braeuninger@hfh.ch
