körper tanz bewegung
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2195-4909
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2025
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Editorial
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2025
Ulfried Geuter
Liebe Leserinnen und Leser, „Sein oder Nicht-Sein, das ist hier die Frage“, sagt Hamlet, zerrissen zwischen dem Schmerz, das Leben zu ertragen, und der Angst, den Tod zu wählen, als er weiß, dass sein Onkel den Vater getötet hat. In seinem Monolog fragt er später, ob wir lieber die Übel ertragen, die wir haben, als zu unbekannten Übeln zu fliehen. Mehrfach wurde von Autor:innen dieses Zitat bemüht, um über Berührung in der Psychotherapie zu schreiben: To touch or not to touch. Als ginge es dabei um Leben und Tod. Als würde man lieber das Übel des Nicht-Berührens ertragen als sich in das unbekannte Land körperlichen Berührens vorzuwagen. Kaum ein Thema ist in der Psychotherapie so umstritten. Für Körperpsychotherapeut:innen nahezu selbstverständlich, ist Berührung für andere ein Tabu, Körperkontakt geradezu der Tod der Therapie. Oder die Pforte zum Missbrauch. Dabei gibt es keine empirischen Belege dafür, dass Berührung in der Therapie zu sexuellem Missbrauch führt. Als in den 1990er Jahren die Warnung vor Berührung besonders laut war, zeigte eine Studie im Auftrag des deutschen Bundesgesundheitsministeriums, dass der kleine Anteil missbrauchender Therapeuten bei allen Therapieverfahren gleich hoch war. Unter den weitgehend narzisstischen Tätern war nur eine Gruppe leicht überrepräsentiert: ältere männliche Lehranalytiker. Körperpsychotherapeuten nicht. In diesem Heft widmen wir uns dem Thema Berührung. Unideologisch und konkret. Frank Röhricht versteht in seinem Beitrag Berührung als Kontakt an der Hautgrenze in einer Beziehung, benennt Charakteristika heilsamer Berührungen und störungsspezifische Indikationen und führt Belege für ihre therapeutische Wirksamkeit an. Bruno Müller-Oerlinghausen und Michael Eggart belegen in ihrem Beitrag, dass psychoaktive Massagen den anhedonischen Grundzustand eines Menschen verbessern und so eine antidepressive Wirkung entfalten können, und plädieren für eine Berührungsmedizin. Marek Szczepanski und Patka Gödeke-Krebs zeigen auf, welche förderlichen Funktionen Berührung in jedem therapeutischen Prozess haben können, nicht nur spezielle Berührungstechniken wie Massagen, wobei sie Berührung in der Therapie weiter verstehen als nur taktil. Peter Geißler zeigt an einem klinischen Beispiel aus einer Therapiegruppe den möglichen hohen symbolischen Wert körperlicher Berührung durch Mitpatient:innen. Die Beiträge machen Mut, sich der Berührung in der Therapie zu nähern, wenn Sie es nicht ohnehin schon tun. Studien zufolge haben nämlich die allermeisten Therapeut:innen schon Patient:innen umarmt. Ich wünsche eine gewinnbringende Lektüre. Prof. Dr. Ulfried Geuter Mitherausgeber „körper – tanz – bewegung“
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1 Editorial Liebe Leserinnen und Leser, „Sein oder Nicht-Sein, das ist hier die Frage“, sagt Hamlet, zerrissen zwischen dem Schmerz, das Leben zu ertragen, und der Angst, den Tod zu wählen, als er weiß, dass sein Onkel den Vater getötet hat. In seinem Monolog fragt er später, ob wir lieber die Übel ertragen, die wir haben, als zu unbekannten Übeln zu fliehen. Mehrfach wurde von Autor: innen dieses Zitat bemüht, um über Berührung in der Psychotherapie zu schreiben: To touch or not to touch. Als ginge es dabei um Leben und Tod. Als würde man lieber das Übel des Nicht-Berührens ertragen als sich in das unbekannte Land körperlichen Berührens vorzuwagen. Kaum ein Thema ist in der Psychotherapie so umstritten. Für Körperpsychotherapeut: innen nahezu selbstverständlich, ist Berührung für andere ein Tabu, Körperkontakt geradezu der Tod der Therapie. Oder die Pforte zum Missbrauch. Dabei gibt es keine empirischen Belege dafür, dass Berührung in der Therapie zu sexuellem Missbrauch führt. Als in den 1990er Jahren die Warnung vor Berührung besonders laut war, zeigte eine Studie im Auftrag des deutschen Bundesgesundheitsministeriums, dass der kleine Anteil missbrauchender Therapeuten bei allen Therapieverfahren gleich hoch war. Unter den weitgehend narzisstischen Tätern war nur eine Gruppe leicht überrepräsentiert: ältere männliche Lehranalytiker. Körperpsychotherapeuten nicht. In diesem Heft widmen wir uns dem Thema Berührung. Unideologisch und konkret. Frank Röhricht versteht in seinem Beitrag Berührung als Kontakt an der Hautgrenze in einer Beziehung, benennt Charakteristika heilsamer Berührungen und störungsspezifische Indikakörper-- tanz-- bewegung 13. Jg., S. 1 (2025) DOI 10.2378/ ktb2025.art01d © Ernst Reinhardt Verlag tionen und führt Belege für ihre therapeutische Wirksamkeit an. Bruno Müller-Oerlinghausen und Michael Eggart belegen in ihrem Beitrag, dass psychoaktive Massagen den anhedonischen Grundzustand eines Menschen verbessern und so eine antidepressive Wirkung entfalten können, und plädieren für eine Berührungsmedizin. Marek Szczepański und Patka Gödeke-Krebs zeigen auf, welche förderlichen Funktionen Berührung in jedem therapeutischen Prozess haben können, nicht nur spezielle Berührungstechniken wie Massagen, wobei sie Berührung in der Therapie weiter verstehen als nur taktil. Peter Geißler zeigt an einem klinischen Beispiel aus einer Therapiegruppe den möglichen hohen symbolischen Wert körperlicher Berührung durch Mitpatient: innen. Die Beiträge machen Mut, sich der Berührung in der Therapie zu nähern, wenn Sie es nicht ohnehin schon tun. Studien zufolge haben nämlich die allermeisten Therapeut: innen schon Patient: innen umarmt. Ich wünsche eine gewinnbringende Lektüre. Prof. Dr. Ulfried Geuter Mitherausgeber „körper-- tanz-- bewegung“
