eJournals körper tanz bewegung 13/1

körper tanz bewegung
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2195-4909
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2025
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Medien & Materialien: Elisabeth Profanter, Barbara Walcher und Thomas Harms: Emotionelle Erste Hilfe in der Klinik. Ein Praxismodell zur Begleitung von Familien am Lebensanfang

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2025
Frieder Pfrommer
Dieses Werk erschien in der Buchreihe „Neue Wege für Eltern und Kind“, Band 19, herausgegeben von Thomas Harms mit einem Geleitwort von der Pflegedirektorin im Südtiroler Sanitätsbetrieb Marianne Siller. Es ist als anregendes Fachbuch für berufstätige Menschen aus dem Feld der Frühprävention, Geburtshilfe, Kinderkrankenpflege, Pädiatrie, Gynäkologie, Psychotherapie und Physiotherapie einzustufen. Das übergreifende Thema des Buches ist zum einen die Veranschaulichung auch an praktischen Fallbeispielen, wie angewandte Emotionale Erste Hilfe aussehen kann, auf welchen Grundlagen sie aufbaut und wie sie in vorhandene klinische Strukturen integriert werden kann am Beispiel der Etablierung im Südtiroler Sanitätsbetrieb, vornehmlich in Bozen, Brixen, Meran und Schlanders. In der Einleitung zu dem Buch werden von Barabara Walcher zum einen die Leitgedanken und Haltungen der Emotionellen Ersten Hilfe (EEH) sehr klar und anschaulich dargestellt, zum anderen begründet sie hier, weshalb bindungsförderndes Verhalten von Eltern bereits in der Zeit um die Geburt und im klinischen Kontext genutzt werden sollte. Bis in die späten 1990er Jahre wurden in den meisten Kliniken die Neugeborenen fast ausschließlich im Kinderzimmer versorgt und bestenfalls zum Stillen zu ihren Müttern gebracht. Das bedeutete einen erschwerten Bindungsaufbau für die Babys, ihre Mütter und ihre Väter – mit den Folgen früher Trennungserfahrungen, die vor allem auf der emotionalen Ebene zu Regulierungsschwierigkeiten führen können. Die praktische Umsetzung einer bindungsorientierten ganzheitlichen Sicht auf die Eltern-Kind-Einheit in den praktischen klinischen Alltag zeigt sich nach wie vor häufig als herausfordernd, da es hierfür vielschichtig gelagerte Hemmnisse gibt. Das Erkennen und Einbeziehen der Kompetenz und des subjektiven Erlebens von Eltern und Kind, die Etablierung der Selbstanbindung als Unterstützung für den Bindungsaufbau und die Versprachlichung von nonverbalen Wahrnehmungen, Erlebniszusammenhängen und Emotionen, sowohl auf der Ebene der begleitenden Fachkraft als auch auf der Ebene der Eltern und des Babys, bedarf einer grundlegenden Haltung, Kompetenz und Bereitschaft aller Beteiligten. Das Konzept der Emotionalen Ersten Hilfe bietet hierzu das theoretische und praktische Wissen und Handwerkzeug – sowohl für Eltern, als auch für Fachleute. Im Kapitel 2 gibt Barbara Walcher Einblicke in die Einführung der EEH in ihr Arbeitsumfeld und die ersten Reaktionen darauf sowie eine Vorbereitung auf das Kapitel 3 von Elisabeth Profanter, in dem diese die Entwicklungsgeschichte der Implementierung des EEH-Konzepts in den Südtiroler Sanitätsbetrieb ab dem Jahr 2015 darstellt – nach 4-jähriger konzeptioneller Vorbereitung. Interessant und berührend fand ich die Darstellung der anfänglichen Schwierigkeiten, die innerorganisatorische und organisationsübergreifende Kommunikation so zu gestalten, dass Teamkolleg:innen und Abteilungskoordinator:innen das Modell der EEH kennenlernen konnten. Der Prozess wurde seitens der Pflegedienstleitung ab 2011 ausdrücklich befürwortet und unterstützt, in vier Gesundheitsbezirken mit Hilfe multiprofessioneller Teams eine Betreuungskontinuität und Bindungsförderung für Familien aufzubauen und zu organisieren. Gleichzeitig sollten durch den Prozess keine neuen Arbeitsplätze geschaffen werden und nur die bereits vorhandene Infrastruktur und die bestehenden Räumlichkeiten genutzt werden. Die teilweise übernommenen Ausbildungskosten und eine Zeitanerkennung halfen, die erworbene Fachkompetenz bei den Hebammen und Mitarbeiter:innen rund um die Geburt am Arbeitsplatz einzusetzen. Als weitere Voraussetzungen für eine erfolgreiche Umsetzung des EEH-Konzepts im öffentlichen Gesundheitssystem werden genannt:
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Medien & Materialien 43 körper-- tanz-- bewegung 13. Jg., S. 43-45 (2025) © Ernst Reinhardt Verlag Elisabeth Profanter, Barbara Walcher und Thomas Harms: Emotionelle Erste Hilfe in der Klinik. Ein Praxismodell zur Begleitung von Familien am Lebensanfang Psychosozial-Verlag, 2023, Gießen, 249 Seiten, 32,90 € (D) D ieses Werk erschien in der Buchreihe „Neue Wege für Eltern und Kind“, Band 19, herausgegeben von Thomas Harms mit einem Geleitwort von der Pflegedirektorin im Südtiroler Sanitätsbetrieb Marianne Siller. Es ist als anregendes Fachbuch für berufstätige Menschen aus dem Feld der Frühprävention, Geburtshilfe, Kinderkrankenpflege, Pädiatrie, Gynäkologie, Psychotherapie und Physiotherapie einzustufen. Das übergreifende Thema des Buches ist zum einen die Veranschaulichung auch an praktischen Fallbeispielen, wie angewandte Emotionale Erste Hilfe aussehen kann, auf welchen Grundlagen sie aufbaut und wie sie in vorhandene klinische Strukturen integriert werden kann am Beispiel der Etablierung im Südtiroler Sanitätsbetrieb, vornehmlich in Bozen, Brixen, Meran und Schlanders. In der Einleitung zu dem Buch werden von Barabara Walcher zum einen die Leitgedanken und Haltungen der Emotionellen Ersten Hilfe (EEH) sehr klar und anschaulich dargestellt, zum anderen begründet sie hier, weshalb bindungsförderndes Verhalten von Eltern bereits in der Zeit um die Geburt und im klinischen Kontext genutzt werden sollte. Bis in die späten 1990er Jahre wurden in den meisten Kliniken die Neugeborenen fast ausschließlich im Kinderzimmer versorgt und bestenfalls zum Stillen zu ihren Müttern gebracht. Das bedeutete einen erschwerten Bindungsaufbau für die Babys, ihre Mütter und ihre Väter-- mit den Folgen früher Trennungserfahrungen, die vor allem auf der emotionalen Ebene zu Regulierungsschwierigkeiten führen können. Die praktische Umsetzung einer bindungsorientierten ganzheitlichen Sicht auf die Eltern-Kind- Einheit in den praktischen klinischen Alltag zeigt sich nach wie vor häufig als herausfordernd, da es hierfür vielschichtig gelagerte Hemmnisse gibt. Das Erkennen und Einbeziehen der Kompetenz und des subjektiven Erlebens von Eltern und Kind, die Etablierung der Selbstanbindung als Unterstützung für den Bindungsaufbau und die Versprachlichung von nonverbalen Wahrnehmungen, Erlebniszusammenhängen und Emotionen, sowohl auf der Ebene der begleitenden Fachkraft als auch auf der Ebene der Eltern und des Babys, bedarf einer grundlegenden Haltung, Kompetenz und Bereitschaft aller Beteiligten. Das Konzept der Emotionalen Ersten Hilfe bietet hierzu das theoretische und praktische Wissen und Handwerkzeug- - sowohl für Eltern, als auch für Fachleute. Im Kapitel 2 gibt Barbara Walcher Einblicke in die Einführung der EEH in ihr Arbeitsumfeld und die ersten Reaktionen darauf sowie eine Vorbereitung auf das Kapitel 3 von Elisabeth Profanter, in dem diese die Entwicklungsgeschichte der Implementierung des EEH-Konzepts in den Südtiroler Sanitätsbetrieb ab dem Jahr 2015 darstellt-- nach 4-jähriger konzeptioneller Vorbereitung. Interessant und berührend fand ich die Darstellung der anfänglichen Schwierigkeiten, die innerorganisatorische und organisationsübergreifende Kommunikation so zu gestalten, dass Teamkolleg: innen und Abteilungskoordinator: innen das Modell der EEH kennenlernen konnten. Der Prozess wurde seitens der Pflegedienstleitung ab 2011 ausdrücklich befürwortet und unterstützt, in vier Gesundheitsbezirken 44 Medien & Materialien 1 | 2025 mit Hilfe multiprofessioneller Teams eine Betreuungskontinuität und Bindungsförderung für Familien aufzubauen und zu organisieren. Gleichzeitig sollten durch den Prozess keine neuen Arbeitsplätze geschaffen werden und nur die bereits vorhandene Infrastruktur und die bestehenden Räumlichkeiten genutzt werden. Die teilweise übernommenen Ausbildungskosten und eine Zeitanerkennung halfen, die erworbene Fachkompetenz bei den Hebammen und Mitarbeiter: innen rund um die Geburt am Arbeitsplatz einzusetzen. Als weitere Voraussetzungen für eine erfolgreiche Umsetzung des EEH-Konzepts im öffentlichen Gesundheitssystem werden genannt: ● eine hinreichende Öffentlichkeitsarbeit, mit Vorträgen, Flyern und Broschüren ● interne Schulungen der Mitarbeiter: innen für Unterstützungsangebote für Eltern ● ein ausreichendes Netzwerk an EEH-Fachberater: innen, die bei Bedarf Interventionen anbieten können ● Kompetenzerhaltung durch Supervision und moderierte klinische Fallbesprechungen ● Zusammenarbeit der spezifischen Dienste ● die Besetzung einer Position als Verbindungsstelle für alle Instanzen ● Evaluierung der Angebote und Revision alle drei Jahre, um Anpassungen vornehmen zu können Im vierten Kapitel fasst Thomas Harms die Essentials der Emotionellen Ersten Hilfe umfassend und klar zusammen-- sowohl die Leitideen und die zugrundeliegende Philosophie, als auch die wissenschaftlichen und theoretischen Grundlagen des Ansatzes. Wichtige Aspekte dabei sind die Körperorientierung, (Selbst-)Wahrnehmung, Vertrauen in die Fähigkeit der Selbst- und Koregulation auf der Ebene des autonomen Nervensystems (in Anlehnung an Stephen Porges), Bewusstwerdung und Versprachlichung des Körper- und Bindungserlebens. Vor dem Hintergrund der Grundlagen und Erkenntnisse der EEH veranschaulicht Elisabeth Profanter im 5. Kapitel die Methode der Bindungsbasierten Berührung im Arbeitsfeld der Hebammen. Sie stellt ihre Erkenntnisse aus einem Forschungsprojekt im Rahmen ihrer Masterarbeit für das Studium der Salutophysiologie für Hebammen an der Fachhochschule in Salzburg vor. Die aufgeführten spezifischen Kompetenzen und Methoden werden sehr gut nachvollziehbar dargestellt und ergänzt durch Praxisbeispiele aus dem Klinikalltag. Schließlich stellt Barbara Walcher im 6. Kapitel die EEH-Basisschulungen vor, wie sie von Thomas Harms und seinem Team im Zentrum für Primäre Prävention und Körperpsychotherapie (ZePP) u. a. in Bremen angeboten werden. Die Praxisumsetzung der EEH in den Südtiroler Sanitätsbetrieb wird von Elisabeth Profanter in Kapitel 7 erläutert. Nachdem die Mitarbeiter: innen die EEH-Basisschulungen absolviert hatten, bestätigten sie vielfach, dass sich ihre kommunikative Kompetenz, das aktive Zuhören und die Fähigkeit, das Gesagte und das Gehörte verständlich zusammenzufassen, deutlich verbessert habe. Ebenso der Umgang mit starken Emotionen und die Fähigkeit, mit der Aufmerksamkeit bei sich selbst bleiben zu können sowie Verständnis und Mitgefühl zu zeigen, falle ihnen nach der Weiterbildung deutlich leichter. Neben dem angebotenen Einzelsetting wird von Gertraud Rastner im 8. Kapitel auch das Setting der von Thomas Harms entwickelten Basic-Bonding-Gruppenangebote vorgestellt. Dabei geht es inhaltlich um Wissensvermittlung, Bindung durch Berührung, Stressmanagement und Babylesen mit dem Ziel, die Eigenkompetenz der Eltern zu stärken. Insgesamt wird in dem Buch deutlich, welch enorme kleinschrittige Arbeit auf mehreren Ebenen mit viel gutem Willen und Durchhaltefähigkeit notwendig war, um diesen großartigen Perspektivwechsel bezüglich Bindungsorientierung rund um die Geburt im Gesundheitswesen einer ganzen Region zu etablieren. Die Empfehlung im Vorwort für diejenigen, die be- Medien & Materialien 45 1 | 2025 reits mit den Grundlagen der EEH vertraut sind, die Darstellung der theoretischen Grundlagen zu überspringen, fand ich nachvollziehbar, bin jedoch dankbar über die Form der verdichteten Präsentation der wesentlichen Elemente der EEH. Dennoch empfand ich die mehrfache Nennung derselben Informationen innerhalb einzelner Kapitel und bei den verschiedenen Autor: innen etwas anstrengend. Dagegen machten die eingebetteten Fallbeispiele die Wirkung der Haltung und Methoden der EEH hervorragend deutlich. Auch die jedem Kapitel beigefügten Literaturlisten geben die Möglichkeit, weitere vertiefende Informationen zum Thema zu finden. Fazit: Dies ist ein mutmachendes Buch, das dazu motiviert, bereits vorhandenes Wissen über Bindung und die damit verbundenen praktischen Erfahrungen auch in Deutschland im klinischen Kontext umzusetzen und damit unsere Geburtskultur weniger unter ökonomische Gesichtspunkte zu stellen, sondern wieder menschlicher für Eltern, Babys und Fachpersonen zu gestalten. Frieder Pfrommer DOI 10.2378/ ktb2025.art06d